TK-Überwachung und Vorratsdaten-Abfrage 2008

Die Süddeutsche Zeitung berichtet heute:

Die deutsche Justiz greift immer häufiger zum umstrittenen Mittel der Telefonüberwachung. 2008 ist die Zahl der Verfahren, in denen Telefongespräche und Computerkommunikation abgehört oder überwacht wurden, um elf Prozent gestiegen. Das geht aus einer Statistik des Bundesamtes für Justiz hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. So gab es im vergangenen Jahr 5348 solche Verfahren, 2007 waren es 4806. Insgesamt 16463 Mal wurden Überwachungsmaßnahmen angeordnet.

Das sind nur die Abhörmaßnahmen, die aufgrund von Ermittlungsverfahren nach realen Straftaten  zustande gekommen sind. Lauschangriffe zu „präventiven“ Zwecken oder durch die Geheimdienste sind nicht erfasst.

Erstmals sind auch die Zahlen über die Nutzung der Vorratsdatenspeicherung verfügbar:

Seit 1. Januar 2008 müssen Telekommunikationsanbieter alle Verbindungsdaten für sechs Monate speichern. Bei Mobiltelefonaten ist auch der Standort bei Gesprächsbeginn zu registrieren. In 8316 Verfahren nutzten Staatsanwälte solche „Verkehrsdaten“. In etwa der Hälfte der Fälle waren die Daten allerdings nicht älter als einen Monat.

Uns wurden netterweise die Original-Quellen aus dem Bundesamt für Justiz zugespielt:

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23 Ergänzungen

  1. Wäre es mittlerweile nicht praktischer und effizienter, die Kommunikationsüberwachung generell ohne Anordnung zuzulassen? Der Bürger kann sich ja in eine „Wolfgangliste“ eintragen, wenn diese Überwachung unerwünscht ist.

    Ähem… was sie dann natürlich verdächtig und damit eine Überwachung zwingend erforderlich macht. Blöde Idee! ;-)

  2. Gibt es denn Statistiken darüber, ob diese ganzen Überwachungsmaßnahmen auch etwas bringen?

    Damit man auch mal ein hieb und stichfestes Argument gegen diesen Überwachungsstaat hat!

    1. @Steffen:
      Etwas andere Baustelle als die Kommunikationsüberwachung aber zu der generellen Frage „ob diese ganzen Überwachungsmaßnahmen auch etwas bringen?“

      Gestern kam diesbezüglich ein interessanter Artikel auf tagesschau.de, siehe hier: http://www.tagesschau.de/ausland/videolondon100.html

      Zusammenfassung: Zwar ist das Vereinigte Königreich das am meisten Video-Überwachte Land Europas, (1 Kamera pro 14 Bürger!) doch werden deshalb weder weniger Straftaten begangen, noch signifikant mehr Straftaten aufgeklärt.
      Um auf die Frage zurückzukehren: Sicherheitstechnisch bringen diese ganzen Überwachungsmaßnahmen also herzlich wenig – aber sie berauben uns alle unserer Privatsphäre!

    2. @ Steffen: Ich befürchte, ein solches ‚hieb- und stichfestes Argument‘ existiert nicht, da Basis aller Politik letzten Endes normative Vorstellungen sind, und nicht Faktenlagen. Was einen nicht traurig machen muss, da ja genau hier ein wundervoller Ansatzpunkt liegt: Es gibt Alternativen zur aktuellen Politik, da ‚Sachzwänge‘ i. d. R. fabriziert sind.

      Ansonsten: Das beste Argument gegen den Überwachungsstaat ist der Überwachungsstaat. Er ist doch einfach widerlich, oder? ;)

  3. Ich bin es leid mit verfassungswidrigen Gesetzen regiert zu werden, die erst Jahre später vom BVerfG kassiert werden, daraufhin schönheitskorrigiert und wieder über mich ergossen werden.

    PIRATEN wählen…Arrrh

  4. War die Nutzung der durch die Vorratsdatenspeicherung gewonnenen Verkerhsdaten nicht an besonders hohe Huerden gebunden und nur fuer schwerste Straftaten zugelassen? Kann mir schwer vorstellen, dass das ueber 8000 mal der Fall war. Oder bezieht sich diese Zahl auf die Verkehrsdaten die freiwillig (und illegal) vom Providern „zu Abrechnungszwecken“ vorgehalten werden? Da koennte ich mir eine solche Groessenordnung eher vorstellen.

  5. Was bedeutet die Spalte „GBA“?

    Auch interessant: Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Subventionsbetrug: 0

    Verstoß gg. BTMG: >4000

    Ich bin’s leid.
    P-)

  6. 14 x wegen
    6.1.g Verbreitung, Erwerb und Besitz
    kinderpornographischer Schriften

    Mir kommt es so vor, als ob die Starfverfolger in diesem Bereich garnicht an der Aufklärung der Staftaten interessiert sind. Lt. unserer Zensursula muss es doch anscheinend so viele Zugriffe auf dieses Material geben, das ein Stoppschild nötig wird.

    Man müsste hier evtl. einfach mal Strafanzeige gegen die Serverbetreiber auf denen solches Material gehostet wird stellen, um diese Ermittlungen in Schwung zu bekommen. Diese besitzen und Verbreiten solches Material ja schliesslich.
    Die Ermittlung solcher Server dürfte natürlich schwierig werden, da man sich dann ja gleich selbst mit der „Scene“ in Verbindung bringt und Angst haben muss kurzfristig unangekündigten Besuch zu bekommen.

  7. @Bernd: GBA=Generalbundesanwalt

    @topic: Versteh ich richtig, dass die ohne Kiffen, Fixen und Lines ziehen, was ja alles keine Verbrechen nach moralischen Gesichtspunkten sondern lediglich nach der Staatsräson sind, so gut wie nix zu belauschen bräuchten?

  8. Ach ja, vonwegen ‚fabrizierter Sachzwang‘ bzw. fabrizierter Zusammenhang: In dem von Dotterbart verlinkten Tagesschau-Beitrag ist genau das ja mal wieder sehr hübsch integriert. Dort heißt es, dank Videoüberwachung konnten die Attentäter des Anschlags von 2005 identifiziert werden. Ah so, na gut, immerhin, denkt man dann.

    Und denkt durchaus falsch, oder glaubt jemand ernsthaft, deren Identitäten wären auf konventionelle Art nicht ebenso zu ermitteln gewesen? Auf diese Weise begründet sich Video- und sonstige Überwachung quasi von selbst. Oh schöne neue Welt, mich schaudert…

  9. Das erinnert an den Roman von Alexander Merow „Beutewelt“ oder „1984“ von Orwell – vermutlich hatten die Autoren doch recht…

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.