Standardsituationen der Technologiekritik

Kathrin Passig hat für den Merkur eine Internetkolumne zur „Standardsituationen der Technologiekritik“ geschrieben.

Das eigentlich Bemerkenswerte am öffentlich geäußerten Missmut über das Neue aber ist, wie stark er vom Lebensalter und wie wenig vom Gegenstand der Kritik abhängt. Dieselben Menschen, die in den Neunzigern das Internet begrüßten, lehnen zehn Jahre später dessen Weiterentwicklungen mit eben jenen damals belächelten Argumenten ab. Es ist leicht, Technologien zu schätzen und zu nutzen, die einem mit 25 oder 30 Status- und Wissensvorsprünge verschaffen. Wenn es einige Jahre später die eigenen Pfründen sind, die gegen den Fortschritt verteidigt werden müssen, wird es schwieriger.

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7 Ergänzungen

  1. Oder wie Douglas Adams es ausgedrückt hat:

    Alles, was es schon gibt, wenn du auf die Welt kommst, ist normal und üblich und gehört zum selbstverständlichen Funktionieren der Welt dazu.

    Alles, was zwischen deinem 15. und 35. Lebensjahr erfunden wird, ist neu, aufregend und revolutionär und kann dir vielleicht zu einer beruflichen Laufbahn verhelfen.

    Alles, was nach deinem 35. Lebensjahr erfunden wird, richtet sich gegen die natürliche Ordnung der Dinge.

  2. Ziemlich viel Unsinn, den Kathrin Passig da kompiliert hat. Wer in den 80er und 90ern das Internet begrüßt hatte, konnte auch schon Auswüchse des Netzes kritisieren und wurde prompt mit Häme überzogen. Das ist die Standardsituation der Internet-Kritik. –Detlef

  3. Wirklich schön aufbereitet von Kathrin Passig. Auch schön zu lesen, dass Kulturpessimismus und Fortschrittsverteufelung wohl doch keine besonders deutschen Eigenheiten sind. Im Gegensatz zu den 80igern und 90igern muss man heute nicht mehr besonders fortschrittsgläubig sein, um „Das Internet“ als neue Konstante der Zivilisation zu begreifen. Leute wie Frank Schirrmacher („Das Internet vermanscht unser Hirn“) führen schon einen Kampf gegen Windmühlen. Und sie gefallen sich in der Rolle eines Don Quijote. Das Internet schafft Kommunikationsmöglichkeiten, die es nie zuvor gegeben hat. Es ist allseits verfügbar und für nahezu jedermann zugänglich. Selbstverständlich wird es unser Leben noch stärker verändern, als es das schon heute tut.

    Aber – und über dieses Stadium der Technologiekritik hat Passig nicht mehr geschrieben – es gibt ja auch noch die Phase nach der Sättigung, wenn die Möglichkeiten bis in die Zwischentöne ausgeschöpft wurden. Wie mit „Dem Auto“ wird es spätestens dann wieder die Frage sein, ob „Das Internet“ nicht auch ein bißchen ein Fluch sei. Wie schön wäre es in den Städten mit deutlich weniger motorisiertem Straßenverkehr. Das Internet macht zwar keinen Lärm und ist auch nicht sonderlich klimaschädlich, aber ein Problem mit der Wahrung von Persönlichkeitsrechten haben wir schon heute…

  4. Natürlich gibt es gegenüber Neuem Abwehr und Bedenken. Aber wenn man das dann nur noch als neurotische Angstabwehr sieht, schießt man übers Ziel hinaus. Denn dann wird jegliche Tehcnologiekritik schnell zu einer psychischen Unpässlichkeit der Kritiker. Genauso ist es ja den „Modernisierungsverlierern“ ergangen, die eine Neigung nach Rechts entwickelten. Diese Modernisierungsfeindlichkeit wurde als Angstabwehr beschrieben und damit als etwas, was man individuell therapieren müsse. Das schaffte dann den Sozialarbeitern wieder neue Legitimation. Und die vielleicht doch berechtigte Kritik an der Modernisierung blieb aus.

    Ähnlich muss wohl eine berechtigte Technologiekritik verstummen, wenn sie als Angstabwehr, also als je individuelles Problem gelesen wird. Ich halte es hier aber eher mit Tom Hodgkinson, der große Sympathien für die Ludditen (die Maschinenstürmer) hegt und deren Aufstand gegen die Maschinen keinesfalls als plumpe Fehlleitung der Kritik ansieht. Vielmehr hätten die Ludditen schon begriffen, in welcher Weise die Maschinen ihre Lebensweise verändern würden und deshalb haben sie sich recht bewusst für ihre Form des Protestes entschieden. Nachzulesen im Buch „Anleitung zum Müßiggang“ von Tom Hodgkinson.

    Jedenfalls sollte man vielleicht einen Mittelweg finden zwischen der Enthüllung von Kulturpessimismus als Konstante und dem Kulturpessimismus selbst.

    Ich kann mich noch an die Frühzeit des Internets für alle erinnern, als die schlichte Existenz von E-Mail von einigen ins Unendliche hochgelobt worden ist. Mittlerweile gibt es aber in jedem Zeitmanagementratgeber den Hinweis auf den „Zeitfresser E-Mail“. Sämtliche aus der Berufspraxis stammenden Hinweise auf die Zwiespältigkeit von Mails wurden aber damals von den technophilen Befürwortern plattgeredet. Man hielt das für altmodische Technikfeindlichkeit. Nun, die Wahrheit lag wie immer eher zwischen den Extrempositionen. E-Mails sind weder einseitig gut noch schlecht.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.