Sperr-Verträge: Details aus der Verhandlung veröffentlicht

Auf Wikileaks sind jetzt Prozessunterlagen zu den Sperr-Verträgen veröffentlicht worden. Jetzt wurden das Protokoll der Verhandlung in Wiesbaden, der Beschluss und weitere Prozessunterlagen veröffentlicht – das Wichtigste in Kürze:

Danke an Sebastian Raible für die Zusammenfassung und diesen Gastbeitrag

* Die Sperrinfrastruktur steht sowohl bei den Providern als auch
beim BKA: „»Die Fachabteilung kann jederzeit loslegen«“.
* Um Inhalte zu löschen, will das BKA per Fax Kontakt zum technischen Ansprechpartner aufnehmen, der für die Domain bei der Registrierung angegeben wurde. Dann muss die Löschung aber auch erfolgen, sonst müsse man „»davon ausgehen, dass hier strafbares Handeln gewollt ist«“.
* Das BKA ist dabei, durch Hinweise, eigene Recherchen und andere Quellen eine Sammlung von Adressen für die künftige Sperrliste aufzubauen.
* Die Adressen auf den Sperrlisten will das BKA nach eigenem Bekunden „»täglich neu evaluieren«“.

Lange Fassung: Sperrinfrastruktur steht

Dass die Sperrinfrastruktur bei den Providern schon seit längerem steht, war gerüchteweise bekannt. Auch konnte man davon ausgehen, dass zumindest Arcor entsprechende Techniken bereits aufgebaut hatte.

Arcor hatte im September 2007 Porno-Seiten gesperrt. Später fiel dann auf, dass bei der Sperrung auf IP-Adress-Ebene etwa 3 Millionen Domains unbeteiligter Dritter gesperrt wurden.

Durch das Protokoll ist jetzt bekannt, dass die Umsetzung der Sperren innerhalb kurzer Zeit erfolgen kann – laut Anwältin Eva Dworschak, die den Webhoster Julian Kornberger vertrat, „»innerhalb von zwei Minuten«“.

Eine Liste der Kunden?!

Für das nächste Jahr verweist das Bundeskriminalamt (BKA) auf die Vereinbarungen im Koalitionsvereinbarung.

Deutsche Server-Betreiber will das BKA über den technischen Ansprechpartner, der im Whois der Domain vermerkt ist, per Fax auf beanstandete Inhalte hinweisen.

Sollte der aber „»nicht zeitnah [reagieren], würden wir erneut versuchen, mit [diesem] in Kontakt zu treten. Für den Fall, dass keine entsprechende Reaktion erfolgt […], müssten wir als BKA davon ausgehen, dass hier strafbares Handeln gewollt ist mit der Folge, dass über die örtlichen Dienststellen ein entsprechendes Verfahren eingeleitet wird.«“

Befindet sich der Server im Ausland, schaut das BKA aber ebenfalls im Whois nach, ob Bezug zu einem deutschen Betreiber zu erkennen ist. Dann wird dieser ebenfalls kontaktiert.

Für den Fall, dass ein deutscher Betreiber Server im Ausland betreibe, im Domain-Whois aber nicht als technischer Kontakt aufgeführt ist, schlägt das BKA vor: „»dass ein entsprechender Hostbetreiber […] dann kontaktiert werden könnte, wenn dieser sich beim BKA mit den entsprechenden Daten im Vorfeld gemeldet hat.«“

Mit anderen Worten: Um zu vermeiden, in den Fokus der Ermittlungen zu geraten, muss Herr Kornberger lediglich all seine Kunden beim BKA registrieren. Der eklatante Eingriff in Kornbergers Grundrechte und die seiner Kunden muss dem Herrn vom BKA entgangen sein.

Verfahren ruht, Sperr-Verträge weiter geheim

Den Ausgang hatte das Verfahren darin, dass Arcor im Juli telefonisch versichert hatte, die Internet-Sperren bereits umgesetzt zu haben.

Zu Anfang der Verhandlung hatte das BKA ein Schriftstück des Innenministeriums (BMI) vorgelegt:

„im Bezug auf die vorgesehene Zugangserschwerung zu kinderpornographischen Inhalten im Internet auf vertraglicher Grundlage bitte ich nochmals darum,

* den Wirkbetrieb nicht aufzunehmen und
* keine Sperrlisten an Internet Provider zu übersenden.“

Diese Anweisung gab für das Gericht den Ausschlag, das Feststellungsinteresse für das Hauptsacheverfahren als nicht gegeben anzusehen – obwohl sie lediglich als Bitte formuliert ist. Außerdem hatte das BKA mündlich versichert, beim Aufbau der Sperr-Infrastruktur mit Testdaten gearbeitet zu haben, die im Intranet getestet worden seien.

Nur im Hauptsacheverfahren hätte die Herausgabe der Sperr-Verträge erwirkt und deren Annulierung erwirkt werden können.

Jederzeit loslegen

Da die Sperr-Verträge somit weiterhin in Kraft sind, hängt es nur von den Anweisungen der Bundesregierung ab, ob sie doch noch zum Einsatz kommen werden.

Was die Ausführungen des BKA angeht, es würde zunächst mehrfach die Serverbetreiber anschreiben, um eine Löschung der Inhalte zu erwirken, ist doch zumindest fraglich, ob diese Aussage in der Realität der Strafverfolgung haltbar ist: In einem laufenden Ermittlungsverfahren käme dies einer Aufforderung gleich, doch bitte sämtliche Beweise zu vernichten.

Mehr Infos dazu hat auch der AK-Zensur.

Zur Einordnung passt auch unser Artikel vom 16. Oktober: Zensursula: Post vom BKA, Vodafone und Kabel Deutschland.

Mitmachen: Spende gegen die Internet-Zensur

Der CCC Bremen unterstützt finanziell die Verfahren gegen die Netz-Sperr-Verträge, sowie gegen das Zugangserschwerungsgesetz. Für Zweckgebundene Spenden nennen Sie bitte als Verwendungszweck der Überweisung: Verwendungszweck: ZENSURSULA. Spenden sind von der Steuer absetzbar. Mehr Infos finden sich beim CCC Bremen.

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22 Ergänzungen

  1. Fax?

    Und was tu Ich, wenn ich kein Fax habe? Kennt Ihr jemanden der (noch) ein Fax hat?

    Das ganze höhrt sich sehr diletantisch und zusammengeschustert an. Ich hoffe das BKA geht bei der Terrorfahndung professioneller vor!

    Fax, haste nicht gehöhrt…

  2. Nach kurzem Nachdenken:
    Vieleicht meinte das BKA Email, und sagte nur Fax um die Beamten nicht zu verwirren.

  3. Wie definiert das BKA eine Sperre? Meint das BKA mit „Sperre“ die sogenannte Zugangserschwernis oder meint das BKA, daß die Inhalte gelöscht werden oder ist beides gemeint?
    Ich bin verwirrt.

  4. Ich verstehe nicht, warum das BKA nicht versuchen wird, den Domainbesitzer auf allen veröffentlichten (schriftlichen) Kontaktmöglichkeiten (E-Mail, FAX, evtl. Post) zu kontaktieren und das sowohl für den Admin, Tech und Owner Kontakt. Sowas kann ja nahezu vollständig automatisiert passieren.

  5. Egal wie das BKA oder die Politclowns „Sperre“
    oder „Zugangserschwernis“ difiniert ist doch eh
    scheissegal es ist „ZENSUR“….!
    Denn auch wenn man nen Hundehaufen mit Blattgold
    belegt und ihn schicke PR-gerechte Namen gibt,
    es ist und bleibt ein Hundehaufen.

  6. Ich glaube, die meinen wirklich Fax. In der Regel ist es ja so, das man sich beim Faxen einen Sendebericht ausdrucken lassen kann. In der Regel ist es so, das diese Sendeberichte auch als Nachweis akzeptiert werden, wenn es darum geht nachzuweisen, ob eine Mitteilung gesendet wurde oder nicht. Im Zweifel heißt es dann:“Doch, wir haben Sie informiert, hier ist der Sendebericht.“

    Bemerkenswerter finde ich den Zusatz:

    In einem laufenden Ermittlungsverfahren käme dies einer Aufforderung gleich, doch bitte sämtliche Beweise zu vernichten.

    Da hat Markus völlig recht und das ist dann auch eine Frage, die mich umtreibt und die Beamte immer wieder in Zwiespalt führen wird. Soll ich auf Verfolgung verzichten und einfach nur sperren lassen? Beides auf einmal wird nicht gehen.

    Auf mich wirkt das ganze Vorhaben im Übrigen noch immer sehr unausgegoren, wenn nicht gar überflüssig.

  7. Ist eigentlich das Gesetz schon durch den
    Bundespräsidenten unterschrieben worden bzw. hört man etwas aus seiner Umgebung?

  8. @Dirk Becker:

    Das BKA hat sich (auf S. 4 im Protokoll) so geäußert, dass im Prinzip gar keine Adressen deutscher Server auf der Liste landen dürften, weil sie da ja handeln können müssen (wenn der Betreiber in Deutschland sitzt müssen Strafverfolgungsbehörden ja irgendwie auf den zugreifen können).

    Die Sperren sollen – so also die Aussage des BKA, die man extrahieren kann – auf ausländische Seiten beschränkt sein, wenn sie nicht auf die Urheber zugreifen können. Dass die das so sagen müssen, ist ja klar :) Sonst wären die Sperren ja nicht verhältnismäßig.

    Jedenfalls scheint mir das der Zweck hinter dieser Aussage zu sein.

    Grüße
    Sebastian

  9. @Dirk Becker

    Den Hosting-Provider dazu zu veranlassen die Daten wirklich zu löschen ist natürlich kontraproduktiv zur Strafverfolgung. Aber beim Anschreiben an den Hoster könnte man ihn ja auch bitten die Daten zu prüfen, vom Netz zu nehmen und die Beweise der Polizei vor Ort zu Übergeben, die ja sicherlich schon gleichzeitig vom BKA unterrichtet wurde.

    Wenn keine juristische Handhabe möglich ist (weil das nur Anscheinsjugendpornographie ist o.Ä.) kann man immer noch AGB Verstöße anmahnen oder an den gesunden Menschenverstand apellieren.

    1. Nee, den Hoster entscheiden zu lassen, was strafbar ist und was nicht, ist ja noch schlechter, als wenn das BKA das entscheidet. Der Hoster macht sich im Zweifelsfall ja noch strafbar dabei..

  10. Das ist doch alles Mist.

    Wenn da irgendwo nachweislich illegale Inhalte liegen, dann wird Anzeige erstattet, Beweise aufgenommen und der/die Schuldige entsprechend verurteilt und dann werden die Seiten doch sowieso vom Netz genommen.

    Wieso muss es unnötig kompliziert gemacht werden?

  11. Weil man ja die Sperren haben möchte, muss das Löschen komliziert sein. Könnte aber auch einfach sein, dass beim BKA Deletanten sitzen.

  12. Das mit dem Fax geht durchaus, wenn man seine Scheuklappen auf hat und ausschliesslich .de Domains sieht. Dort ist die Faxnummer für den Tech-C nämlich eine Pflichtangabe.

  13. Da hat wohl jemand etwas gegen Wikileaks. Alle verwendeten Nameserver der Domain sind zur Zeit nicht erreichbar.

  14. Wikileaks ist toll, vor allem der Artikel hier passt irgendwie sehr gut zu dem was grad in Deutschland abgeht:
    http://www.wikileaks.com/wiki/Rechtsanwalt_Seibert_droht_WikiLeaks_mit_Strafverfolgung_wegen_Ratiopharm_Ermittlungsakte%2C_20_Nov_2009

    Das systematische Schmieren von Ärzten ist laut Gutachen nicht illegal. Ist klar. Bestechung ist zwar verboten, aber wenn man es systematisch macht passt schon. Macht(e) Siemens ja auch. Machen es einige Politiker und Lobbies auch? Oder einige Industrien?

    Wieso wird Bestechung nicht legalisiert? Würde doch vieles vereinfachen. ;) Achja, würde auffallen, da war was.

  15. „In einem laufenden Ermittlungsverfahren käme dies einer Aufforderung gleich, doch bitte sämtliche Beweise zu vernichten.“

    Das ist eine Frage des Paradigmas: Wenn es wirklich um KiPo geht, wäre es in der Tat kontraproduktiv. Weiß man aber, dass es vielmehr darum geht, unbequeme Inhalte aus dem Netz zu schaffen, wird doch ein schöner Schuh daraus. Dann nämlich ist das erste Gebot der Stunde, den Zugang schnellstmöglich zu sperren, damit nicht noch mehr unerwünschte Denkvorgänge angeregt werden. Eine Strafverfolgung ist in solchen Fällen ja (bis jetzt noch) meist nicht möglich.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.