SPD: Zugangserschwerungsgesetz aufheben

Es geht weiter mit der (etwa sechs Monate zu spät gestarteten) Anti-Zensursula-Kampagne der SPD-Fraktion. Jetzt soll das Gesetz weg, was die SPD-Fraktion vor kurzem noch als ungeheuer wichtig empfand. Das wird in einer Pressemitteilung der SPD-Fraktion verkündet: Zugangserschwerungsgesetz aufheben.

Der rechtliche und politische Schwebezustand um das Zugangserschwerungsgesetz und die BKA-Verträge für Internetsperren muss ein Ende haben. Die SPD-Bundestagsfraktion wird einen Antrag zur Aufhebung des Gesetzes sowie der Verträge einbringen.

Was noch fehlt: Wie wäre es mal mit einer Entschuldigung?

Update: Es wird noch skurriler! Laut Heise hatte die SPD mehr als eine Woche vor Verabschiedung des Gesetzes Informationen vom BKA bekommen, dass die meisten kinderpornographischen Inhalte in westlichen Staaten mit guter Internetanbindung stehen würden. Diese Informationen verwendet man aber erst jetzt. Damals hat man sie unter Verschluss gehalten.

Das BKA führt zwar keine eigenen statistische Erhebungen zu den Standorten solcher Server durch, konnte aber auf eine Auswertung von dänischen Strafverfolgern zurückgreifen. Diese hatten im Zeitraum von Oktober 2008 bis Januar 2009 die von den dänischen Access-Blocking-Maßnahmen betroffenen Domains den jeweiligen Host-Ländern zugeordnet. An erster Stelle benennt die dänische Polizei mit 1148 Servern die USA, bereits an zweiter Stelle listete sie Deutschland mit 199 Servern. An dritter Stelle folgten die Niederlande mit 79 Servern, an vierter Stelle Kanada mit 57 Servern sowie Russland an fünfter Stelle mit 27 Servern. Die weiteren Plätze belegten Japan, Korea, Tschechien und Großbritannien.

Dänemark ist auf Platz 1, weil die eine andere Definition von Kinderpornographie haben, worunter auch Jugendliche fallen. Aber trotzdem vermisse ich Indien, Kasachstan, Uruguay und „Afrika“ in der Liste, die ständig von konservativen Netzzensur-Befürwortern als Alibi-Länder verwendet wurden. Und frage mich: Warum wird das erst jetzt bekannt und nicht vor der Verabschiedung des Gesetzes? Spannend wäre ja auch zu erfahren, ob die gesamte SPD-Bundestagsfraktion davon wusste und diese Informationen für ihre Gewissensentscheidung verwendet hat. Oder ob die Informationen ihnen vorenthalten wurden.

Update:

Hier ist das Schreiben als PDF.

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22 Ergänzungen

  1. Martin „Wir sind doch die Guten, nicht die Bösen!“ Dörrmann ist auf einmal einsichtig. Von ihm würde ich sehr gerne eine Entschuldigung hören, wenn ich bedenke, was er uns vor einigen Monaten bei dem Gespräch in der Kölner SPD-Zentrale für einen Müll erzählt hatte. – Aber auf die können wir wohl alle lange warten.

  2. Wieso entschuldigen? Wir haben nichts unrechtes getan, ihr habt uns nur falsch verstanden…

    Alternativ:
    Wir waren garnicht da, die CDU hat das mit der Macht der BILD durchgedrückt!

    alternativ-Alternative:
    Wir haben euch einfach nicht verstanden mit eurem komischen Internetfachjargon… :'((((

    :)

    Spaß beiseite: Die SPD hat eh noch einen Tausendkilometerlauf vor sich um Glaubwürdigkeit wiederzugewinnen. Dabei gehts nicht nur um die Sachfragen, sondern überhaupt den Verständniss für und Umgang mit der Gesellschaft.

    Die verkaufen mit dieser Aktion alle öffentlichen Kritiker (und Sympathisanten ebenjener) am rücksichtslosen und unbedachten Vorgehen für dumm.

    mMn ist das ganze jetzt jedenfalls schon wieder sone „wir spucken euch ins Gesicht“-Aktion.
    Ich werde jedenfalls auch weiterhin der Auffassung sein dass die mich, als potentiellen Wähler, verarschen wollen. Andere können sich gerne Fragen obs angefangen hat zu regnen :P

  3. Die Pressemitteilung ist ja eher peinlich. Nun ist VdL ganz alleine an allem Schuld und die SPD war der einsame Kämpfer, der mit aller Mühe (noch) schlimmeres verhindert hat.

    Da offenbart sich aber ein bemerkenswerter Mangel an Selbstbewusstsein: Die SPD war doch Regierungspartei, hätte sie klar und deutlich „Nein“ gesagt, hätte es das Gesetz nicht gegeben.

    Statt dem ganzen Larifari wäre ein „sorry, wir habens verbockt aber jetzt sind wir schlauer“ irgendwie ehrlicher gewesen. Immerhin hat sich offenbar am Ende die Vernunft doch durchgesetzt.

  4. @5: Wenns denn die Vernunft war und nicht die Angst um Wählerstimmen.

    Heiß aber immer noch die Aussage, dass sie das nur gemacht haben, um die Verträge die „rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügen“ zu verhindern. Dabei haben wir für so etwas doch Gerichte. Aber nein, es musste ja noch alles schnell vor der Bundestagswahl gemacht werden.

    Jetzt auf der FDP rum zu hacken, weil sie es nicht geschafft haben, im Koalitionsvertrag die Aufhebung des Gesetzes durchzusetzen, dass nur durch SPD-Hilfe überhaupt entstehen konnte ist feige und zu höchst unmoralisch.

    Ich hoffe nur, dass sich die Presse und die Menschen vor der nächsten Bundestagswahl daran erinnern.

  5. Was für eine verlogene Bande. Die böse CDU hat die arme SPD genötigt, dieses Schwachsinnsgesetz zu beschliessen und nur dank der SPD konnte das schlimmste vermieden werden.

    Quote: „Die SPD-Bundestagsfraktion hatte bei der Verabschiedung des Zugangserschwerungsgesetztes gegen den Widerstand der Union dafür gesorgt, den zwingenden Vorrang des Löschens in das Gesetz aufzunehmen   zu weitergehenden Festlegungen war die Union seinerzeit nicht bereit und hat vielmehr auf der Sperrung und der Umleitung auf einen Stopp-Server bestanden.“.

    Da hilft auch keine Entschuldigung mehr. Für dumm verkaufen können sie nur sich selber (dies allerdings, wie erneut bewiesen, sehr gut).

  6. @Julia
    „Ein bisschen Demut wäre gut. Aber das können sie wohl nicht (über ein Jahrhundert eingeschliffenes Verhalten)“

    Na, das finde ich jetzt ein bißchen übertrieben. Die SPD war oft genug über Gebühr demütig, so voller Zerknirschung und Selbstzweifel, dass es ein leichtes war, der Partei auch in Regierungszeiten einen Hang zur Opposition anzudichten.

    Man sollte die nahezu 140 Jahre Sozialdemokratie auch nicht so in Bausch und Bogen verdammen, schließlich hat sie auch enorme Erfolge erzielt. Sozialpolitisch sähe es in diesem Lande sicherlich noch finsterer aus ohne die Sozialdemokratie.

    Die mangelnde Demut scheint mir eher ein Generationsproblem zu sein. Dörmann ist Netzwerker und die Netzwerker haben zuweilen etwas FDP-mäßiges an sich: diese Freude am eigenen Aufstieg, dieses businessmäßige und diese schnöselige Besserwisserei. Es sind Leute, die Not und Elend nicht mehr kennen gelernt haben. Sie sind die „Generation Golf“, die cooler sein will als die 80er Jahre-Menschen. Sie wollen auch cooler sein als die alten Gewerkschaftler mit ihrem proletarischem Habitus und natürlich wollen sie weder provinziell noch kleinbürgerlich sein. Und wer gilt hier als Speerspitze gegen diesen Mief? Es sind die windschnittigen Pragmatiker, die Manager, die Macher. Und genauso sehen die Dörmanns dieser Welt dann am Ende auch aus.

  7. „Warum wird das erst jetzt bekannt und nicht vor der Verabschiedung des Gesetzes?“

    Ist ne rhethorische Frage oder?

  8. Das ist nicht ganz so einfach, wie es aussieht: Ich glaube nicht, dass der Bericht unter Verschluss gehalten wurde. Die Antwort der Bundesregierung auf Frage 3 der Kleinen Anfrage der FDP vom 11.06.09 weist ziemliche Parallelen zu den von Heise zusammengefassten Aussagen des Berichts auf.
    Nur wurde eben an einigen entscheidenden Stellen uminterpretiert. Ob zulässig oder nicht, lässt sich so kaum sagen. Ich hätte gerne das Originaldokument. Gibt es das schon? (Wikileaks ist gerade down).
    Ich habe eine Mail an die SPD rausgeschickt – mal sehen, was ich als Antwort erhalte.

  9. @Jonas Schaible

    Ja, ich hab die Parallele auch gesehen und weiß, dass das nicht so einfach ist. Trotzdem kann man jetzt bei nochmaligem Lesen erkennen, dass die beiden Absätze sich wahrscheinlich auf getrennte Studien beziehen, wobei die erste anscheinend für Straftaten nach 184b und die zweite für Straftaten nach 184b+c(weil Dänemark da nicht unterscheidet) gilt. Meine Frage wäre, wo diese erste Studie ist.

    Außerdem ist es ja fraglich, warum Deutschland da in den vorderen Rängen ist, wenn hier seit Jahren auch beides strafbewehrt(wenn auch mit unterschiedlicher Härte) ist.

  10. Einsicht, Entschuldigung, endlich verstanden?
    Das ist doch irrelevant.

    Dies ist mal wieder ein gutes Beispiel dafür, dass Politiker Entscheidungen nicht nach Sachlage, sondern nach parteitaktischen Überlegungen treffen.
    Aber glaubt die SPD wirklich, sich damit in kurzer Zeit wieder beliebt machen zu können?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.