Letztes Aufbäumen gegen Zensurgesetz

STOPP-SPD

Die Online-Petition bricht inzwischen alle Rekorde. Heute, am letzten Tag der Mitzeichnungsfrist, sind bereits mehr als 130.000 Mitzeichner dabei. Wenn die SPD sich nicht im letzten Moment eines besseren besinnt und das Zensurgesetz doch noch ablehnt, wird sie im September dem Projekt 18% deutlich näher kommen.

Auf Spreeblick wird bereits "Auf Nimmerwiedersehen, SPD" geschrieben. Mit einer schönen Grafik dazu. :-) Außerdem macht per Twitter schon das passende Lied die Runde. Update: Ein sehr schönes Bild gibt es auch beim Evildaystar.

Der Internetexperte der SPD-Fraktion im Bundestag, Jörg Tauss, hat in einem letzten Akt der Verzweiflung einen lesenswerten offenen Brief an seine FraktionskollegInnen geschrieben:

(…) Die Grundwerte der SPD sind Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Sie sind unser „Markenkern“. Noch vertrauen viele technikaffine junge Menschen – besonders die sogenannte „Generation C64“ – darauf, dass wir als Rechtstaatspartei die Freiheiten verteidigen, die unsere Genossinnen und Genossen in der Vergangenheit für unser Land erstritten haben. Dieses Gesetz würde jedoch eine Zäsur bedeuten: Zum ersten Mal seit 1949 würde die SPD im freien Teil Deutschlands eine Infrastruktur mit beschliessen, bei der *auf Basis einer geheimen Liste einer Polizeibehörde* *Inhalte im Internet zensiert werden können*. (…)

Kein Wunder, dass sich fast alle Experten gegen die Gesetzesinitiative aussprechen (siehe heise.de ) und FDP, Gruene und LINKE sie gemeinsam mit nahezu ALLEN Experten in zwei Anhörungen abgelehnt haben und selbst der Bundesrat erhebliche Bedenken angemeldet hat.

Kein Wunder, dass in nicht einmal zwei Monaten mehr als 128.000 Menschen die Petition "Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten" von Franziska Heine unterzeichnet haben – so viele wie keine Petition des Bundestages je zuvor.

Und kein Wunder, dass bei der Europawahl fast ein Prozent der (jungen) Wählerinnen und Wähler in Deutschland die „Piratenpartei“ gewählt haben, deren wichtigster Programmpunkt der Kampf gegen dieses Gesetzesvorhaben ist, dem wir am Donnerstag zustimmen sollen. In Schweden, von denen wir das Konzept dieser Internet-Sperren verschärft übernehmen sollen, hat diese Partei bereits 7,1% der Stimmen für sich mobilisieren können!

Liebe Genossinnen und Genossen,

durch eine Zustimmung zu diesem Gesetz kann die Sozialdemokratie in Deutschland nur verlieren: Den Jugend- und Online-Wahlkampf und im schlimmsten Fall sogar eine ganze Generation von technisch aufgeklärten Menschen. Natürlich bläst uns nicht nur bei diesem Thema medial der Wind ins Gesicht. Wir hatten als SPD dagegen jedoch immer das erfolgreiche Rezept: „Mundfunk schlägt Rundfunk“. Der „Mundfunk“ der heutigen Generation ist das Internet. Wir sollten mehr Sorge um unseren Ruf dort haben, als vor einzelnen negativen Schlagzeilen in der BILD.

Gewinnen kännen wir mit einer Zustimmung zu diesem Gesetz dagegen nichts: Die Union und Ursula von der Leyen wird sich in jedem Fall als entschiedenere Kämpfer gegen Kinderpornographie darstellen können – egal ob es der Wahrheit entspricht oder nicht. Wir werden die Union auf diesem Feld in keinem Fall an Zustimmung gerade bei den wertkonservativen Wählerinnen und Wählern überholen können.

Und selbst wenn es keine wahltaktischen Argumente gebe, diesem gefährlichen Unfug nicht zuzustimmen: Die SPD war immer die Partei der Freiheit. Bleiben wir es. Keine Zensur! Egal, aus welchen gut gemeinten Gründen auch immer.

Bitte verweigert dem Gesetzentwurf – selbst in der geänderten Form – daher Eure Zustimmung.

Einen ähnlichen offenen Brief an die Mitglieder SPD-Fraktion haben auch Björn Böhning (dessen Initiativantrag gegen das Zensurgesetz am Sonntag vom SPD-Parteitag einfach ignoriert worden war) und Mathias Richel geschrieben.

Am Donnerstag, wenn das Gesetz im Bundestagsplemum abgestimmt wird, wird es wohl mindestens in Berlin wieder eine Mahnwache geben. Unter Umständen finden auch in anderen Städten Mahnwachen statt. Für Planungen dazu steht das Wiki des AK Zensur zur Verfügung .

Dass mit der CDU ohnehin nie auf eine sinnvolle Lösung zu hoffen war, sollte allerdings nicht heissen, dass sie gar nicht mehr beachtet wird. Im Gegenteil. Fefe schreibt dazu:

Ich erkläre hiermit CDU-Wahlkampfveranstaltungen mit Zensursula-Transparenten besuchen zur Trendsportart. Weitersagen: das ist die perfekte Einleitung für einen Party-Abend. So begeht man ab jetzt den Feierabend. Und bitte Fotos machen und mir mailen. Und kommt dann bitte auch zum diesjährigen CCC-Congress mit euren Transparenten. Ihr schreibt da gerade Geschichte!

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25 Ergänzungen

  1. Die SPD gräbt sich vielleicht bei technikaffinen Jung- und Erstwählern langsam das Wasser ab, aber das mag sie als ein Bauernopfer hinnehmen. Vermutlich wird in der Parteizentrale fieberhaft überlegt, wie sich ganz andere Wählerschichten nicht vergraulen lassen, die weit weniger umfassend über die Konsequenzen und Bedingungen des Gesetzentwurfs aufgeklärt sind. Sonst heißt es nachher noch in den Reihen alteingessenern Stammwähler, dass die SPD jetzt auch noch gegen Kinderpornographie die Hände in den Schoß legt.

  2. Hallo

    kann mal jemand genauer erklären, wie der Antrag von Böhning „ignoriert“ wurde? So wie ich das bei Twitter mitbekomen habe, wurde da doch im Parteivorstand drüber geredet. Ich hab das so verstanden, als hätte Böhning den zurückgezogen oder man hat ihn mit Geschäftsordnungstricks weg gemacht.

    Also, was war da los?

    1. @ Julia (3): Soweit ich das verfolgt habe, wurde die Abstimmung über den Initiativantrag von der Parteitagsleitung einfach ignoriert, obwohl es dazu eine Wortmeldung von Björn gab, der per GO-Antrag durchsetzen wollte, dass sein Antrag gegen den Beschluss des Parteivorstandes abgestimmt wird. Das war wohl sogar formal nicht ganz koscher. Die Quellen dazu habe ich gerade nicht zur Hand.

  3. Nun, wenn man nur Wähler mit Apple und Abitur hat (wie Grüne, FDP und Piraten), dann ist die Welt halt einfach. Aber die eigentliche Frage ist doch: Wer genau profitiert, wenn die SPD schwach ist?
    Wäre es nicht viel wichtiger, Leute wie Tauss und Böhning in der SPD zu stärken? Machen wir uns nichts vor: die kleinen Parteien wären doch genausoschnell gekippt, die FDP sofort und die Grünen (siehe Hamburg) doch auch nach kurzer Pathosshow.

    Das Gesetz läuft drei Jahre. Umso wichtiger ist es, dass im Herbst weder Schwarzgelb noch Schwarzgrün kommt. Eine Mittelinksmehrheit muss her.

  4. Ich denke, dem offenen Brief von Böhning & Richel sollte mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Tauss hat leider politisch nicht mehr viel zu melden – das erleichtert zum einen natürlich, sowas zu schreiben, andererseits wird es aber höchstwahrscheinlich wenig bewirken.

    Da mache ich mir bei Böhning und Richel (minimal) mehr Hoffnung.

  5. Böhning und Tauss könnten auch langsam mal das sinkende Schiff verlassen.

    Bei Kling sind die teilweise entsetzten Blicke im sozialdemokratischen Kabarettpublikum besonders amüsant.

  6. …Dies ist deine letzte Chance, danach gibt es kein Zurück mehr! Wenn du die blaue Pille nimmst, ist alles vorbei. Du wachst auf in deiner Welt und glaubst an das was du glauben willst. Nimm die rote Pille, und du bleibst im Wunderland. Und ich führe dich in die tiefsten Tiefen des Kaninchenbaus!…

  7. … aber es ist auch irgendwie symptomatisch: der Protest findet – bis auf wenige Ausnahmen – nur im Internet statt. Twitter-Avatare werden geändert, E-Petitionen unterzeichnet, es wird „zurückzensiert“ – aber da, wo auch Printmedien berichten könnten (und das sind nicht Spiegel Online, Zeit Online und DerWesten), passiert nichts! Okay, in Berlin, im Zentrum der Macht, da gibt es Mahnwachen und Demonstrationen – aber sonst: Nichts, was irgendwie die Berichterstattung über die Kritiker ändern könnte. … Hier ein Aktiönchen, dort ein Aktiönchen, aber das war es und jetzt ist es leider zu spät.
    Da pack ich mich aber auch an die eigene Nase: Die Digital Natives haben zu lange die Realität ignoriert, sie haben zu lange missachtet, dass ein Großteil der Bevölkerung offline lebt und ab und zu „ihr“ Internet für Mails und Wer-kennt-wen nutzt.
    Eine schmerzhafte Erkenntnis – aber wir müssen aus ihr lernen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.