Länder zählen mit „Zensursula“

Über die vom Familieministerium ausgerichtete „Konferenz zum Schutz vor sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche mit Fokus auf neue Medien“ und speziell ihre Abschlusserklärung (PDF) war hier ja schon einiges zu lesen.

Gefordert werden in der, unter anderem von Europol, dem Bundeskriminalamt, den Kinderschutzorganisationen Innocence in Danger, ECPAT, Save the Children und UNICEF Deutschland, und natürlich von Ursula von der Leyen unterschriebenen Erklärung, – wenig überraschend – u.a. weitere Websperren.

Das müsse man tun, betont „Zensursula“, wie bei Heise Online zu lesen ist, schließlich hätten …

Nur rund 160 Staaten […] überhaupt eine Gesetzgebung gegen die Vergewaltigung von Kindern, die von den Tätern aufgenommen und übers Netz „massenhaft verbreitet wird“, monierte von der Leyen auf der Tagung; 95 Nationen hätten keine solche Gesetze.

160 Staaten? 95 Nationen? Was denn nun? Zum einen sind „Staaten“ und „Nationen“ politikwissenschaftlich und völkerrechtlich schon einmal zwei Schüsseln Brei. Der Vergleich, bzw. die Gleichsetzung ist also schon grundsätzlich problematisch. Ok, lassen wir das aussen vor. Interessant ist nämlich vor allem ein kurzer Klick in die Wikipedia. Dort kann man nachlesen, dass es derzeit lediglich 193 vollständig von der UNO anerkannte Staaten gibt.

Insgesamt gibt es 193 vollständig (von der UNO) anerkannte souveräne Staaten, siehe Liste der Staaten der Erde. Darunter fallen die 192 Mitglieder der UN sowie der Staat Vatikanstadt.

Nur der Vollständigkeit halber: Nicht von der UNO anerkannt werden Abchasien, Republik China (Taiwan), Kosovo, Türkische Republik Nordzypern, Sahara und Südossetion …

193 bzw. 199 sind irgendwie deutlich weniger als 160 + 95, oder? Auch das Auswärtige Amt hat lediglich 203 Länder auf seiner Liste (wenn ich mich nicht verzählt habe).

Und ja, 193 Staaten sind auch deutlich mehr als die 160 Staaten, die laut unserer Lieblingsministerin über entsprechende Gesetze verfügen. Wobei, auch diese Zahl* ist einmal mehr zumindest fraglich. Schließlich haben – ausser den USA und Somalia – alle von der UNO anerkannten Länder die Kinderrechtskonvention der UN unterzeichnet. Die regelt, zum Beispiel in Artikel 34, den Schutz vor sexuellem Missbrauch. Das sollte zumindest bei UNICEF Deutschland bekannt sein.

Den Hinweis, dass auf den bisher bekannten Sperrlisten vor allem Angebote aus entwickelten Industriestaaten mit entsprechenden Gesetzen gelistet waren, spare ich mir. Ebenso spare ich mir den Hinweis, dass in Ländern, die über keine entsprechenden Gesetze verfügen, auch keine für Webhosting geeignete IT-Infrastruktur vorhanden sein dürfte.

PP: Anders, als im Vorfeld befürchtet werden musste, hat sich übrigens kein deutsches Social Network der Erklärung angeschlossen. Dazu nochmal Heise Online:

Der Jugendschutzbeauftragte von StudiVZ, Philipp Grötschel, räumte gegenüber heise online mit Gerüchten auf, dass Anbieter sozialer Netzwerke die Konferenzerklärung unterzeichnet hätten oder dies planten. Das Dokument enthalte „zweifelhafte Punkte“, sodass die Unternehmen bislang nicht im Boot seien.

*Woher sie stammt, ist mir noch nicht so recht klar. Ich vermute, dass damit die 159 Länder gemeint sind, aus denen die UNICEF einen Bericht bzgl. der Umsetzung der Kinderrechtskonvention erhalten hat. Die Zahlen wären dann allerdings auf dem Stand von Mai 2002! Evtl. irre ich mich hier aber auch.

Update, 07.07.: Laut Heise Online stammen beide von von der Leyen genannten Zahlen aus der – fragwürdigen ICMEC-Studie, die Dirk Landau bereits Anfang des Jahres analysiert hat.

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48 Ergänzungen

  1. oder anders gesagt: Die liebe Frau Ministerin will sich gar nicht erst sorgfältig informieren, sonst müsste sie ja wissentlich lügen, und das will doch keiner…

  2. Du bist aber auch ein Erbsenzähler. HALLO!!! Es geht um die KINDER!!!!11111 Mit Besen und so, tztz – wen interessieren da schon Fakten!?

  3. Die Erklärung ist ganz einfach:

    Der Zensursubot läuft mit 8 Bit – anders konnte sie „sehr viele Staaten minus den 160“ eben nicht ausdrücken.

  4. Unfassbar mit welcher Konsequenz die Zensi weiter den Weg der Desinformation geht. Kann mal irgendwer die Frau ins Gefängnis sperren bitte?

  5. Mal abgesehen von den Zahlenspielen – wir wissen ja nun alle, dass Politiker damit nach Belieben jonglieren – finde ich die illustre Mischung der Tagungsteilnehmer viel interessanter. Wer da alles als Kinderschützer zu Wort kommt, einfach erstaunlich!

    Die Gewalt gegen Kinder und Jugendliche passiert in der Gesellschaft. Der Staat hat da massiv Vorsorge, Unterstützung und im schlimmsten Fall Strafverfolgung zu leisten. Wie kommt es da aber, dass die deutsche Regierung dazu andere Staaten, die Sie nicht einmal klar beim Namen nennt, kritisiert, wo sie doch selbst in vielen Belangen versagt!
    Sie selbst verstößt in mehreren Belangen klar gegen die erwähnte UN-Charta! Z.B. beim Asyl- und Abschieberecht bzgl. Kinder und Jugendlicher. Dem freien Zugang zu Wissen und der Chancengleichheit bei der Ausbildung der Kinder. Bei der Rechtssprechung!!

    Diese Regierung steht ausschließlich für eine Verschärfung von Strafgesetzen und die Ausplünderung des Steuerzahlers. Alles andere sind bloße Lippenbekenntnisse.

  6. Die Frau von der Leyen sprach doch immer davon, dass die Hälfte aller Länder nichts gegen Kinderpornografie tut.

    160 Staaten von 193 tun etwas. Bleiben 33.
    33 ist aber nicht die Hälfte von 193.

  7. Nachdem \links in der spd\ beim alten gasableser keine nestwärme mehr verspürte jetzt also \piraten in der spd\, http://www.moenikes.de/index.php?nr=26738&menu=1 zur Prävention einer weiteren Abspaltung potentieller Wähler? Juristen sagen dazu \venire contra factum proprium\, Web2.0-Affine fragen nach der Authentizität und der Voksmund \Wer einmal zensiert dem glaubt man … ach ne, da sorgt die ja BILD vor.

  8. Interessant dass Frau von der Leyen 95 Nationen kennen will, in denen Kinderpornographie keine Straftat sei, wo sie doch bis heute nicht EIN EINZIGES dieser Länder konkret beim Namen nennen konnte. Weder sie noch sonst irgendjemand aus dem Kabarettisten-Verein, der früher mal die CDU war.

  9. Bei FinanzNachrichten.de ein Beleg dafür, dass Frau v.d. Leyen nicht nur Kindern finanziell unter die Arme greift, sondern in einem Abwasch auch einem sehr bekannten, aber darbenden Unternehmen aus der Finanzwelt:

    Unter der Schirmherrschaft von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen gibt das Marinemusikkorps Nordsee am 1. Juli ein Benefizkonzert im Park der Gärten in Bad Zwischenahn. Den Auftritt der Wilhelmshavener Big Band initiierte der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, Thomas Kossendey. „Der Erlös dieser Veranstaltung kommt dem Bremer Zentrum für trauernde Kinder und Jugendliche zugute. Die

    EINRICHTUNG

    ist auf Hilfe von außen angewiesen. Wir wollen zur Unterstützung des Zentrums beitragen“, sagt Kossendey.

    http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2009-06/14292976-deutsche-marine-pressemeldung-pressetermin-benefizkonzert-fuer-trauernde-kinder-marinemusikkorps-zu-gast-in-bad-zwischenahn-007.htm

  10. keiner braucht zu flamen, es geht natürlich um Kinder, aber Von der Leyen ist scheinbar so inkompetent, wenn jemand fakten nicht richtig kriegt, dann sollte man sich schon fragen, ob diese Person geeignet ist für einen Regierungsposten

  11. Ein paar Länder hätte ich da noch. Diese Länder haben keine Infastruktur bzw. es findet sich im Netz kein Hostinganbieter.

    – Central African Republic
    – Equatorial Guinea (es gab da wohl mal einen)
    – Guinea
    – Guinea Bissau
    – Mozambique
    – St. Lucia
    – Togo

    Und damit wären es dann nur noch 14 Schurkenstaaten, weil was nutzt die „Erlaubnis“, wenn keine Infastruktur vorhanden ist? Oder anders, was wollen die Staaten mit so Gesetzen, wenn sie sie eh nicht anwenden können?

  12. Ihr Artikel ist inzwischen inkorrekt. Der Spiegel hat sich korrigiert – Die Ministerin hat NICHT gesagt, dass Kinderpornographie in 95 Ländern nicht strafbar sei.

    http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,633536,00.html

    Leider kann man es sich auch nicht so leicht machen wie es in diesem Beitrag rüber kommt. Es ist falsch zu glauben nur weil kipo strafbar ist könne man die entsprechenden Länder auffordern die Inhalte zu löschen. Vielerorts fehlt die Infrastruktur in der Verwaltung um überhaupt Kontakt zur Polizei auf zu nehmen. In vielen Ländern, in denen es Serveranbieter gibt, kümmert sich die Polizei faktisch 0 um Internetkriminalität, weil sie unterbesetzt ist, das Know-How bzw. Geld dazu fehlt.
    Obwohl ich die vorgeschlagene Internetsperre ablehne ärgern mich so einseitige Artikel wie dieser hier. Es gibt bessere Argumente gegen die Sperre und die Internetgemeinschaft sollte auch die andere Seite beleuchten um so vielleicht bessere Lösungsvorschläge zu finden.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.