Gericht: Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ist ungültig

Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat als erstes deutsches Gericht entscheiden die Meinung geäussert, dass die EG-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung der Telekommunikationsdaten gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt und daher ungültig ist. Daher wurde sie dem Europäischen Gerichtshof zur Überprüfung vorgelegt.

In der heute vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung veröffentlichten Entscheidung (Beschluss vom 27.02.2009, Aktenzeichen 6 K 1045/08.WI) heißt es wörtlich: "Das Gericht sieht in der Datenspeicherung auf Vorrat einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Datenschutz. Sie ist in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig. Der Einzelne gibt keine Veranlassung für den Eingriff, kann aber bei seinem legalen Verhalten wegen der Risiken des Missbrauchs und des Gefühls der Überwachung eingeschüchtert werden […] Der nach Art. 8 ERMK zu wahrende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist durch die Richtlinie [zur Vorratsdatenspeicherung] nicht gewahrt, weshalb sie ungültig ist".

In dem Fall geht es eigentlich um etwas anderes, nämlich die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung von Zuwendungen aus dem EU-Agrar- und Fischereifonds im Internet. Das Gericht hat daran ebenfalls grundlegende Zweifel angemeldet, kommt dann aber auf eine sehr interessante Argumentation:

Hinzu kommt, dass die ausschließliche Veröffentlichung im Internet abschreckenden Charakter hat. Diejenigen Bürger, die überhaupt Zugang zum Internet haben und sich informieren wollen, werden gezwungen, sich einer Vorratsdatenspeicherung nach der Richtlinie 2006/24/EG auszusetzen. Das Gericht sieht es als einen Wertungswiderspruch an, einerseits die Telekommunikation verstärkt zu überwachen, aber andererseits Informationen, die der Teilnahme der Bürger an öffentlichen Angelegenheiten dienen sollen, nur elektronisch zugänglich zu machen. Da der Gerichtshof in die Lage kommen kann, dass er die Gültigkeit der Verordnung (EG) 259/2008 nur bejaht, wenn die Vorratsdatenspeicherung nach der Richtlinie 2006/24/EG entfällt, legt das Gericht auch die Frage der Gültigkeit dieser Richtlinie mit vor. Dadurch ist der Gerichtshof befugt, die Vereinbarkeit der Richtlinie mit Grundrechten, insbesondere dem Rechts auf Datenschutz, zu prüfen.

Damit liegt die Vorratsdatenspeicherung nun dem Europäischen Gerichtshof auch zur inhaltlichen Überprüfung vor, noch bevor das Bundesverfassungsgericht über einen entsprechenden Antrag der mehr als 34.000 Kläger entscheiden konnte.

Das Gericht spart sich übrigens auch nicht einen Seitenhieb auf das geplante BSI-Gesetz , das eine freiwillige Vorratsdatenspeicherung von Webseiten-Besuchen erlauben würde.

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11 Ergänzungen

  1. Die Meldung ist leider falsch formuliert. Und bevor es von dutzenden Bloggern wieder ungeprüft übernommen wird: Das Verwaltungsgericht Wiesbaden kann nicht „entscheiden“ (und hat auch nicht „entschieden“), dass die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung rechtsungültig ist. Ein solches Dictum obliegt einzig und allein dem EuGH, Art. 234 lit. b) 1. Var. EG.

    Was passiert ist: Aus seinen entscheidungserheblichen Zweifeln an der Vereinbarkeit der Richtlinie mit der EMRK (und dadurch indirekt auch mit dem EG-Primärrecht bzw. den Gemeinschaftsgrundrechten) hat das Verwaltungsgericht beschlossen, die Frage nach der Gültigkeit der Richtlinie dem EuGH zur Entscheidung vorzulegen. Dazu ist es als nicht-letztinstanzliches Gericht in der Regel nicht verpflichtet, Art. 234 Abs. 3 EG, aber natürlich berechtigt, Art. 234 Abs. 2 EG. Da das VG hier jedoch eine auf einer Richtlinienbestimmung basierende Regelung außer Anwendung lassen wollte, greift die sogenannte Foto Frost-Doktrin, die auch ein nicht-letztinstanzliches mitgliedstaatliches Gericht in einer derartigen Konstellation zur Vorlage verpflichtet.

    Quintessenz: Ob die Richtlinie tatsächlich rechtsungültig ist, entscheidet allein der EuGH. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat diese Frage nach der Gültigkeit nur vorgelegt.

    1. Dass die Richtlinie nun dem EuGH zur inhaltlichen Prüfung und damit Entscheidung vorliegt, habe ich ja geschrieben. Aber das VG hat immerhin wörtlich gesagt „Der nach Art. 8 ERMK zu wahrende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist durch die Richtlinie [zur Vorratsdatenspeicherung] nicht gewahrt, weshalb sie ungültig ist“.
      Wie würdest du das denn formulieren? „Hat die Meinung, dass…“? Oder wie? IANAL.

      1. Ralf, ich hätte geschrieben: „Das Verwaltungsgericht hält die Richtlinie für rechtsungültig und hat die Frage nach ihrer Rechtsgültigkeit deshalb dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt“.

        Oder: „Das Verwaltungsgericht hat Zweifel an der Vereinbarkeit von Bestimmung X der Richtlinie mit Art. 8 EMRK und dadurch (höherrangigem) EG-Primärrecht. Es hat deshalb die Frage nach der Rechtsgültigkeit der Richtlinie dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.“

        Was mich stört, ist wie gesagt das „entschieden“: Zum einen sind Vorlagen zur Vorabentscheidung immer Beschlüsse, zum anderen vermittelt es dem Leser, ein deutsches Verwaltungsgericht könne über die Vereinbarkeit von EG-Sekundär- mit EG-Primärrecht entscheiden (kann es nicht, gerade deshalb legt es ja vor). Das mag jetzt pedantisch klingen, aber gerade daraus ergibt sich beim Leser, der im Europarecht nicht so bewandert ist, das Missverständnis, er habe es hier mit einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung über die Gültigkeit zu tun. Was dann, wenn er es in Argumentationen einsetzt, zum gefährlichen Bumerang werden kann …

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