BGH erlaubt Online-Archive

Das Deutschlandradio darf Abschriften alter Beiträge in seinem Archiv bereithalten, auch wenn darin die Namen der beiden mittlerweile aus der Haft entlassenen Sedlmayr-Mörder genannt werden. Das hat der BGH gestern entschieden.

Die Kläger wurden 1993 wegen Mordes an dem Schauspieler Walter Sedlmayr zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, aber im Sommer 2007 bzw. Januar 2008 auf Bewährung entlassen. Im Jahr 2000 berichtete das Deutschlandradio zum zehnten Jahrestag des Mordes über den Fall und nannte in dem Beitrag auch die Namen der verurteilten Täter. Gegen die öffentliche Archivierung dieses Textes gingen die beiden Kläger vor.

Damit waren sie in den Vorinstanzen – LG und OLG Hamburg – erfolgreich, der BGH kippte diese Entscheidung nun aber. Das Gericht begründete sein Urteil damit, dass „im Streitfall das Schutzinteresse der Kläger hinter dem von der Beklagten verfolgten Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung zurückzutreten hat.“

Die beanstandete Meldung beeinträchtigt das Persönlichkeitsrecht der Kläger einschließlich ihres Resozialisierungsinteresses unter den besonderen Umständen des Streitfalls nicht in erheblicher Weise. Sie ist insbesondere nicht geeignet, die Kläger „ewig an den Pranger“ zu stellen oder in einer Weise „an das Licht der Öffentlichkeit zu zerren“, die sie als Straftäter (wieder) neu stigmatisieren könnte.

Diese Einschätzung basiert unter anderem darauf, dass es sich um „sachlich abgefasste, wahrheitsgemäße Aussagen“ über einen zu seiner Zeit Aufsehen erregenden Kriminalfall handelt. Auch, dass die beiden Kläger noch nach der Erstellung des Beitrages gegen ihre Verurteilung angingen, rechtfertigt die damalige Berichterstattung:

[Daher] war die Mitteilung zum Zeitpunkt ihrer Einstellung in den Internetauftritt der Beklagten zulässig. Hieran hat sich trotz der zwischenzeitlich erfolgten Entlassung der Kläger aus der Haft nichts geändert.

Das Gericht sah zudem ein „anerkennenswertes Interesse“ daran gegeben, dass auch „vergangene zeitgeschichtliche Ereignisse“ nachvollzogen werden können:

Das von den Klägern begehrte Verbot hätte einen abschreckenden Effekt auf den Gebrauch der Meinungs- und Medienfreiheit, der den freien Informations- und Kommunikationsprozess einschnüren würde.

Auch wenn das Urteil aus Sicht der Meinungsfreiheit eindeutig zu begrüßen ist, sollte man bedenken, welche Bedeutung es für die Privatsphäre der Betroffenen hat, die im Übrigen ihre Schuld immer bestritten haben. Das Gericht schreibt dazu:

Der Meldung kam nur eine geringe Breitenwirkung zu. Sie war nur auf den für Altmeldungen vorgesehenen Seiten des Internetauftritts der Beklagten zugänglich, ausdrücklich als Altmeldung gekennzeichnet und nur durch gezielte Suche auffindbar.

Das scheint mir in Zeiten, in denen diese „gezielte Suche“ ausgesprochen einfach geworden ist, eine Fehleinschätzung. Der Beitrag ist für jeden, der die Namen kennt, genauso öffentlich, wie auf der Titelseite einer großen Zeitung.

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12 Ergänzungen

  1. Ich denke, damit werden wir in Zukunft leben müssen, das Netz kennt kein Verfallsdatum. Selbst wenn man solche Informationen in einen entsprechenden Container -analog zu DRM- mit Verfallsdatum packen würde, würde es -ebenfalls genau wie bei DRM- immer jemanden geben, der die Informationen wieder befreit. So, wie auch heute schon Videos aus den vergesslichen Mediatheken befreit werden.
    Deshalb ist es dringend nötig, dass die Medien solche Infos nur dann publizieren, wenn es sich nicht um eine Vor-Verurteilung handelt.

    Oder wir entscheiden uns, dass uns dieses Recht auf Resozialisation nach verbüßter Strafe mehr wert ist als eine unverfälschte Chronik vergangener Ereignisse und beginnen mit der nachträglichen, groß angelegten „Korrektur“ der Geschichte. Ich bin gegen diese Geschichtsknitterung, da sie auch die Geschichte der einstigen Opfer manipuliert.

  2. Na, das hört sich doch arg nach Streisand-Effekt an. Ich habe bis heute noch nie von diesem Mord gehört und wer hätte beim flüchtigen Kontakt mit denen sofort gedacht „Ah, da war doch 2000 dieser Beitrag im DLF!“ ;-)

    Finde es reichlich unüberlegt in diesem Fall zu klagen. Selbst bei einem nicht flüchtigen Gespräch wie einer Bewerbung bringt das alles nichts: Da dürfen sie die Vorstrafe eh nicht verschweigen.

  3. „Das scheint mir in Zeiten, in denen diese “gezielte Suche” ausgesprochen einfach geworden ist, eine Fehleinschätzung. Der Beitrag ist für jeden, der die Namen kennt, genauso öffentlich, wie auf der Titelseite einer großen Zeitung.“

    Dem kann ich nicht zustimmen. Die Suche nach Namen ist wesentlich einfacher geworden, dass ist richtig. Aber diese einfach Suche ist nicht zu vergleichen damit, in einer aktuellen Tageszeitung zu stehen. In einer Zeitung würde man die Information bekommen ohne danach gesucht zu haben, weil der Sinn einer Zeitung ist sich über alle aktuell wichtigen Ereignisse zu informieren. Im Übrigen hätte man in einem ähnlichen Fall vor 20 oder 30 Jahren mit dem Namen der Täter ebenso die Archive der Zeitung(en) manuell durchsuchen können und hätte dieselbe Information gefunden.

  4. @tokmitstock:

    Die manuelle Durchsuchung eines Zeitungsarchivs hat eine völlig andere Qualität.
    Erstens, weil man dafür einen größeren Anreiz haben muss, als für eine einfache Suche bei Google (schließlich ist der Aufwand weitaus höher).
    Zweitens, weil es um ein Vielfaches schwieriger ist, einen einzelnen Namen wiederzufinden. Vor allem, wenn man keinen zeitlichen Rahmen hat, in dem man sucht.

  5. @ Marc S: Der Name Baldur von Schirach zum Beispiel hat auch niemand aus den Archiven gelöscht, nachdem er 1966 seine Haft abgesessen hatte. Im Gegenteil, der Name wird auch in „neuzeitlicheren“ Wissens-Sammlungen (aka wiki) weiterhin geführt.

    Wer A sagt, muss auch B sagen, konsequent für sämtliche Namen. Viel Spass bei der Geschichtsrevision.

    Dass dann jemand seinen Namen ändern müsse, um nicht mehr mit seiner inzwischen abgesessenen Tat in direkter Verbindung gebracht zu werden, sollte doch im Verhältnis gesehen angemessen sein, oder?

  6. Via englischer Wikipedia findet man die Namen sehr schnell. Es gibt viele (meist englische) Seiten, die die Namen nennen.

    U.a. gibt es einen /. Artikel, indem berichtet wird, dass die auch gegen Wikipedia geklagt haben. Aus dem Artikel:

    „In a bit of irony, their lawyer e-mailed the NY Times: ‚In the spirit of this discussion, I trust that you will not mention my clients‘ names in your article.'““

    Und natürlich verlinkt WP den NY Times Artikel, in dem die Namen genannt werden.

  7. Warum müssen solche Fälle oft erst durch mehrere Instanzen gehen, bis dem Recht genüge getan ist?
    Es geht hier um etwas ganz Grundlegendes. Es geht darum wie man mit Tatsachen und Geschichtsschreibung umgeht.
    Die Person ist ein verurteilter Mörder und möchte seine Vergangenheit rein waschen. Das ist von seinem Standpunkt aus vielleicht verständlich. Ich halte es allerdings für eine wichtige Information, die auf keinen Fall unzugänglich gemacht werden darf.
    Es gibt immer noch zu viel Intransparenz in allen Bereichen.
    Vielleicht sollte man in der Gesellschaft darüber reden, wie man mit freier Information umgeht, das halte ich für deutlich sinnvoller.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.