Urheberrechts-Debatte: 95 Jahre, Warnbriefe und die Kulturflatrate

In der Debatte rund um die Zukunft des Urheberrechts im digitalen Zeitalter ist in der vergangenen Woche wieder soviel passiert, das sich die offenen Tabs in meinem Browser ganz schön vermehrt haben. Daher gibt es hier einen Überblick rund um das Geschehen.

Die EU-Kommission will die Schutzrechte für Tonaufnahmen von 50 auf 95 Jahre erhöhen und hat einen Richtlinienvorschlag vorgelegt. Das ist eine alte Forderung der Musikindustrie und hat mit dem ursprünglichen Zweck des Urheberrechts, durch ein Schutzrecht mehr Kreativität zu entfalten überhaupt nichts zu tun. Damit wird mal wieder klar, dass das Urheberrecht zu einem Recht der Verwerter wird, denn die Allgemeinheit wird ihrem kulturellen Erbe beraubt und Kreative wird es auch nicht motivieren, neue Werke zu schaffen. Eine vernünftige Forderung wäre, die Schutz-Dauer zu senken, anstatt sie zu erhöhen.

ORF.at hat ein Interview mit den beiden Wissenschaftlern Martin Kretschmer und Paul Stepan, die ökonomische Hintergründe des Leistungsschutzrechtes und die mögliche Auswirkungen längerer Schutzfristen auf Konsumenten und Kreative erläutern: „EU-Subventionen an Musikkonzerne“. Basis der EU-Entscheidung ist übrigens eine (sicher ganz unabhängige) Studie der britischen Musikindustrie, die niemals veröffentlicht wurde. Kretschmar und Stepan argumentieren, dass von der Erhöhung der Schutzdauer nur einige Superstars profitieren und der „gemeine“ Künstler davon wenig hat.

Bei genauerer Betrachtung muss man sehen, dass die meisten Aufnahmen zwischen 1913 und 1958 [d.h. die, die heute unter die Verlängerung der Schutzfrist von 50 auf 95 Jahre fallen würden] von Labels aufgenommen wurden, die von den vier Major Unternehmen [Universal, Warner, Sony BMG und EMI] im Laufe der Zeit aufgekauft wurden. Folglich würden die Einnahmen fast ausnahmslos an diese vier Giganten gehen, die wiederum zu einem Großteil in Ländern außerhalb der EU bilanzieren. Mit einer derartigen Verlängerung fließt auch Geld aus der EU ab.

Die britische Times hat ein einen offenen Brief von einigen Urheberrechts-Gelehrten zu diesem Thema veröffentlicht:

Many of us sympathise with the financial difficulties that aspiring performers face. However, measures to benefit performers would look rather different. They would target unreasonably exploitative contracts during the existing term, and evaluate remuneration during the performer’s lifetime, not 95 years. We call on politicians of all parties to examine the case presented to them by right holders in the light of independent evidence.

Kommentar von iRights.info: EU-Kommission beschließt Schutzfristverlängerung für Musikaufnahmen.

Unterm Strich wird der Zugang zum musikalischen Erbe erschwert und verteuert. Genau davor hatten Juristen, Musiker und Ökonomen aus mehreren EU-Mitgliedsstaaten am 21. Juni in einem Brief an José Manuel Barroso gewarnt: „Die vorgeschlagene Richtlinie zur Verlängerung der Schutzfrist wird Kreativität und Innovation in Europa irreparablen Schaden zufügen.“ Niemand hat in Brüssel auf sie gehört. Dem europäischen Einigungsprozess hat McCreevy ganz sicher einen Bärendienst erwiesen. Die Europaskepsis unter denen, die die Entwicklung des Urheberrechts kritisch verfolgen, wird zunehmen. Dem verbreiteten Eindruck, dass die EU sich immer mehr zu einem „Europa der Lobbyisten“ entwickelt, hat Charlie McCreevy wenig entgegen zu setzen, im Gegenteil.

Mehr zu dem Thema auch bei Heise, Futurezone und Golem.

Wenigstens in einer anderen Sache sieht es mal etwas besser aus: Die EU-Kommission hat europäischen Verwertungsgesellschaften verboten, ihr Angebot im Ausland einzuschränken und will damit den Erwerb EU-weiter Lizenzen ermöglichen. Das ermöglicht Künstlern zukünftig, ihre Verwertungsgesellschaft frei wählen zu können. Das könnte für Künstler interessant sein, die von der GEMA daran gehindert werden, eigene Werke unter Cretaive Commons Lizenzen zu veröffentlichen. Dann geht man einfach nach Österreich oder Dänemark. Vielleicht erhöht es auch nur einfach den Druck, endlich mehr Wahlfreiheit ihrer eigenen Mitglieder zu ermöglichen.

Die GEMA ist übrigens not amused. Mehr dazu bei Heise und Golem.

Bei einem informellen Treffen haben sich die EU-Kulturminister für eine aktivere Rolle der Provider im Kampf gegen Piraterie geeinigt. Demnach sollen Internetanbieter künftig eine aktivere Rolle bei der Information ihrer Kunden über Urheberrecht und Urheberrechtsverstöße übernehmen. So wird es derzeit beim Telekom-Paket diskutiert. Bezeichnend ist auch das Zitat unseres Kulturstaatsminister Bernd Neumann: „Eine Verpflichtung der Serviceprovider, Nutzer auf urheberrechtliche Verpflichtungen und Verstöße hinzuweisen, ist ein Schritt in die richtige Richtung“. Und der nächste Schritt sind dann die Internetsperrungen. Ich hab ja imme rnoch nichts von der Bundesregierung gehört, die ich mal vor zwei Monaten zu der Position erund um Internetsperungen angefragt habe.

In Grossbritanien haben die sechs grossen Provider British Telecom, Virgin, Orange, Tiscali, BSkyB und Carphone Warehouse ein Abkommen mit der Musik- und Filmindustrie, sowie dem britischen Wirtschaftsministerium unterzeichnet. Das zunächst für drei Monate geltende Abkommen soll die Provider verpflichten, Warnbriefe an ihre eigenen Kunden zu schicken, sobald sich die Musik- und Filmindustrie über Urheberrechtsverletzungen beschwert. Ein solches Vorgehen steht uns übrigens auch bevor, wenn das Telekom-Paket auf EU-Ebene mit der derzeitigen Kompromisslinie im EU-Parlament durchkommt. Es gibt natürlich keine Überprüfung, ob eine IP jetzt tatsächlich einem Kunden richtig zugeordnet wird und die Provider werden zu Handlangern der Unterhaltungslobby – gegen die eigenen Kunden. Dafür werden die Pläne zu Internetsperrungen zunächst ausgesetzt. Aber wie man das ja aus der Urheberrechts-Diskussion kennt, dürfte dies mal wieder nur ein Zwischenschritt sein, und sobald sich die Unterhaltungslobby wieder beschwert, kommt dann die nächste Eskalationsstufe. Der drittgrösste britische Provider verweigert sich dem Abkommen aber. Zitiert wird der CEO: „Es ist nicht meine Aufgabe, Polizist im Internet zu sein.“

Die britische OpenRightsGroup kommentiert die Pläne: Government to consult on legislation to curb illicit filesharing as industry agrees voluntary scheme.

Mehr dazu in Heise, Golem, Futurzone, The Register und BBC.

Interessant ist, dass das britische Kulturministerium über eine Kulturflatrate nachdenkt, um eine massive Kriminalisierung der Internetnutzer zu verhindern: Music industry to tax downloaders.

Währenddessen halten die Internet-Provider in Österreich die britische Vorgehensweise für problematisch: Absage an Tauschbörsen-Warnschreiben. Kurt Einzinger, Generalsekretär des Verbandes der österreichischen Internet-Anbieter ISPA, wird von der Futurezone zitiert: „Die Provider könnten nicht wissen, ob die Vorwürfe der Rechteinhaber auch stimmen würden, sagte Einzinger zu ORF.at. Wenn etwas vorliege, könne die Musikindustrie ohnehin rechtliche Mittel ergreifen. Liege nichts vor, sei auch eine Warnung nicht angebracht.“

Das grosse DRM-Sterben geht weiter: Im September schliesst der Yahoo! Music Unlimited Store und dann kann man seine gekauften Dateien nicht mehr abspielen. Kunden, die sich die Schrott-Dateien gekauft haben, werden beruhigt: Man könne sich die Dateien auch brennen, anschließend rippen und dann wieder als MP3 konvertieren. Da kann man sich die Lieder auch gleich bei Tauschbörsen holen und verbrennt kein Geld. Die Electronic Frontier Foundation kommentiert das: Here We Go Again: Yahoo! Music Throws Away the DRM Keys. „We’ve warned music fans for years that they could lose their DRM-wrapped music if vendors decided to withdraw support for it. Nonetheless, we hoped that the experience of MSN Music would encourage other vendors to think twice before making their customers pay the price for the vendors’ own faulty business decisions.“

Das Netzwertig-Blog verlinkt auf ein Discussion Paper des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung: “Das Internet und die Transformation der Musikindustrie” (PDF).

Die Rekonstruktion des technikgetriebenen Wandels der Musikindustrie zeigt, dass die wesentlichen Impulse der Restrukturierung von den Rändern des Sektors beziehungsweise von sektorexternen Akteuren ausgingen – und nicht von den etablierten Musikkonzernen. Diese haben die neuen technologischen Herausforderungen sehr zögerlich aufgenommen, darauf zunächst vor allem mit Blockadehaltungen und Eindämmungsstrategien reagiert und erst vor dem Hintergrund eines massiven und unabweisbaren Veränderungsdrucks damit begonnen, sich strategisch neu zu positionieren.

Telemedicus verweist auf eine Deklaration des Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht zum sog. Drei-Stufen-Test im Urheberrecht: Drei-Stufen-Test in der Kritik. In der Erklärung wird für mehr Schranken zum Schutz öffentlicher Interessen plädiert:

The Three-Step Test should not be interpreted in a manner that jeopardizes an adequate solution for this multi-level conflict of interests. (…) The public interest is not well served if copyright law neglects the more general interests of individuals and groups in society when establishing incentives for rightholders.

Man kann die „„Deklaration für eine ausgeglichene Auslegung der Dreistufentests im Urheberrecht“ auch online unterzeichnen.

iRights.info hat eine Zusammenfassung zu der Deklaration: Urheberrechtsexperten kritisieren dogmatische Anwendung von Dreistufentest aus TRIPS.

Die Urheberrechtsexperten fordern mit ihrer Deklaration dazu auf, die Interessen von Urhebern, Verwertern und der Öffentlichkeit in Zukunft alle angemessen zu berücksichtigen – wie es im TRIPS-Abkommen auch ausdrücklich vorgesehen ist. Bisher, kritisieren die Fachleute, seien die Interessen der Öffentlichkeit, zum Beispiel an einem funktionierenden Wettbewerb und einem Zugang zu geschützten Werken, nicht ausreichend ins Kalkül gezogen worden. Sie betonen die Bedeutung urheberrechtlicher Ausnahmebestimmungen („Schranken“) zur Wahrung der gesamtgesellschaftlichen Interessen. Insbesondere wollen sie Menschen- und Freiheitsrechten, Wettbewerbsüberlegungen und „andere[n] öffentliche[n] Interessen wie beispielsweise den wissenschaftlichen und kulturellen Fortschritt, die soziale oder ökonomische Entwicklung“ einen höheren Stellenwert eingeräumt sehen als bisher.

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8 Ergänzungen

  1. wer also wiederholt musik aus dem internet läd hat sein recht auf informations und meinungsfreiheit verwirkt?

    nicht zu vergessen das erst vor kurzem neu formulierte Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität von IT-Systemen

    was ist denn daran vertraulich wenn mein datenstrom „abgehört“ wird?
    das schreit förmlich nach verfassungsbeschwerde

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