Kommentar zum IT-Gipfel

Morgen gibt es in der gedruckten TAZ einen Kommentar von mir zum IT-Gipfel. Dieser ist jetzt bei taz.de schon online zu finden: Die Angst vor dem User.

Die etwas längere Roh-Version des Textes gibt es hier:

Zum dritten Mal findet am 20. November der „IT-Gipfel“ der Bundesregierung statt. Das Treffen zwischen Regierung, IT-Wirtschaft und ausgewählten Vertretern aus dem universitären Bereich findet dieses Jahr an der Technischen Universität Darmstadt statt. Worum geht es bei dieser Show-Veranstaltung, und worum sollte es eigentlich gehen?

Die Bundesregierung überraschte mit dem IT-Gipfel. Statt offener Diskussion wichtiger gesellschaftlicher Fragestellungen rund um die Informationsgesellschaft wurde es eine geschlossene Veranstaltung. Auf dem ersten IT-Gipfel war selbst der Bundesdatenschutzbeauftragte nicht eingeladen. Viele relevante gesellschaftliche Gruppen, die teilweise seit Jahrzehnten in diesem Themenfeld aktiv sind, vom Chaos Computer Club über Gewerkschaften bis hin zu den Verbraucherschutzzentralen, mussten ebenfalls draußen bleiben. Das hat sich bis heute nicht viel geändert. (Bundesverband Verbraucherzentralen und Bundesdatenschutzbeauftragte wurden nach Protesten mittlerweile eingeladen)

Der Gipfel symbolisiert, wie das Thema Internet in der Bundesregierung verwurzelt ist. Informationstechnologie wird als Standortpolitik nach dem Modell der alten Deutschland-AG verstanden. Regelmäßig werden IT-Großprojekte präsentiert, die selten auf ihre gesellschaftlichen Auswirkungen hin untersucht werden. Automatisierung von Verwaltungsprozessen steht auf der Agenda. Die Regierung sieht IT-Politik als Organisieren von Großprojekten in Zusammenarbeit mit der IT-Wirtschaft. Die tatsächliche Innovationen finden in der Gesellschaft und in den kleinen und mittelständischen Unternehmen statt.

Dazu gibt es bei Politikern beliebte Themen, die zeigen, dass hier immer noch die Agenda der Angst regiert: vor Jugendlichen, die neugierig im Netz unterwegs sind; vor Terroristen und Pädophilen, die angeblich hier einen sicheren Rückzugsort haben (aber auch noch nie so gut verfolgbar waren); Angst vor neuen Unterhaltungsformen, die als „Killerspiele“ diskreditiert werden; generelle Angst vor dem Neuen, dem Unbekannten, dem Netz.
Immer mehr Menschen integrieren das Internet in ihr Leben. Eine gesellschaftliche Debatte rund um die digitale Gesellschaft wird von der Politik aber nicht geführt. Die Bundesregierung hätte die Chance, diese Debatte zu moderieren unter Einbeziehung vieler Beteiligter. Es ist an der Zeit, nicht nur die in Deutschland beliebten Risiken zu diskutieren, wir brauchen eine Debatte über die Chancen der digitalen Gesellschaft. Herausforderungen gibt es viele, aber es gibt auch viele positive Ideen, zu einer menschenwürdigen, gerechten und nachhaltigen Informationsgesellschaft zu kommen.

Wer braucht schon Internet?

Auch wenn große Teile der Bevölkerung Zugang zu Breitband-Internet haben, gibt es immer noch viele weiße Flecken auf der Deutschlandkarte. Nicht nur in ländlichen Regionen, auch in Großstädten wie Berlin gibt es 2008 immer noch Gegenden ohne Breitbandzugang. Doch dieser ist Voraussetzung für einen kostengünstigen Zugang im Netz, z.B. durch Flatrates, und damit für Teilhabe an der digitalen Gesellschaft. Das bedeutet heute den Ausschluss aus weiten Teilen der gesellschaftlichen Teilhabe, es bedeutet das Abschneiden von Bildungs- und Informationsmöglichkeiten.
Die Internet-Anbieter sagen: zu teuer. Die Bundesregierung wartet derweil immer noch auf den Markt. Alternative Lösungen zu suchen, darauf verzichtet sie. Internet ist heute Grundversorgung, und die gehört in die Infrastrukturpolitik. So wie Straßen und Autobahnen finanziert werden, müsste die Bundesregierung die Entwicklung auch hier unterstützen.

Kommunen sollten darüber hinaus als Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge ihren Bürgern einen Grundzugang zum Netz gewährleisten. Kommunale WLAN-Netze bieten sich dafür an. Eine Grundversorgung mit Internet aus der Luft würde viel Innovation entfachen. Deutschland könnte den Sprung zu einer mobilen und inklusiven Internetgesellschaft schaffen, neue Anwendungen können im mobilen Bereich schneller marktreif entwickelt werden, neue Chancen bieten sich nicht nur für den Tourismus, sondern auch für eine bessere Vernetzung der Bürger untereinander. Ein IT-Gipfel, der sich solch grundlegenden Herausforderungen nicht stellt, muss reine Eliten-Veranstaltung bleiben.

Unsere Daten schützen

Die flächendeckende Vorratsdatenspeicherung von Verbindungen, die heimliche Online-Durchsuchung und die vielen Datenschutz-Skandale aus den letzten Wochen rufen bei den Bürgern Ängste hervor, statt Sicherheit zu schaffen. Wenn sich unbescholtene und unverdächtige Menschen aus Angst vor Big Brother Staat nicht trauen, das Netz unbesorgt zu nutzen – das zeigen Umfragen seit der Einführung der Vorratsdatenspeicherung – dann ist das ein Skandal. Schädlich für den IT-Standort Deutschland ist das natürlich ebenfalls.

Wie beim privaten Gespräch zuhause im Schlafzimmer, im Park oder im Cafe benötigen wir auch in der digitalen Gesellschaft freie und anonyme Kommunikationswege. Es muss Kernbereiche geben, in denen der Staat nichts verloren hat. Wer trotz breiter Proteste aus allen gesellschaftlichen Gruppen, trotz Großdemonstrationen gegen den Überwachungsstaat und sogar trotz starker Bedenken der Polizeigewerkschaften dem BKA die verfassungswidrige Lizenz zum heimlichen Ausspähen unseres digitalen Gedächtnisses auf der Festplatte gibt, wird bei den nächsten Wahlen die Quittung dafür bekommen. Ein nationaler IT-Gipfel muss sich damit befassen, wie eine freie und offene Informationsgesellschaft aussehen soll. Wenn er das nicht tut, geht er an den gesellschaftlichen Realitäten vorbei.

Mehr Open Source wagen

Ein Bereich, den deutsche Netzpolitik leider vollkommen ausblendet, sind die Open-Source-Communities. Während die Bundesregierung vor einigen Jahren zu den globalen Vorreitern in der Förderung von Freier Software gehörte, ist es in den letzten Jahren sehr still darum geworden. Leider, wie man sagen muss. Dabei gehört Deutschland im internationalen Vergleich immer noch zu den Vorreitern. Die Innovation werden allerdings innerhalb der Gesellschaft entwickelt: Die deutschsprachige Wikipedia gehört zu den aktivsten Communities weltweit und schafft Freies Wissen für alle. Das OpenStreetMap-Projekt entwickelt freies Kartenmaterial, welches von Privatanwendern und Unternehmen kostenfrei genutzt werden kann, und beseitigt damit ein altes Problem in der Nutzung von Kartenmaterial. Dieses wiederum ist notwendig für die Entwicklung von mobilen Anwendungen. In vielen Städten bauen Freifunk-Communities freie WLAN-Netze und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Vernetzung von Bürgern und Kulturstädten und somit zum Abbau der digitalen Spaltung auf lokaler Ebene. Eine Vielzahl an freien Softwareprojekten haben eine große Entwickler-Basis in Deutschland. Unzählige Internet-Nutzer veröffentlichen ihre Blogs, MP3s, Videos und andere kulturelle Werke unter Creative Commons Lizenzen und erlauben das Weiterverwenden und Remixen. Hier bieten sich zahlreiche Potentiale für eine Transformation von alten Strukturen in eine digitale Gesellschaft. Dieses Engagement wird leider nicht als bürgerschaftliches Engagement anerkannt, geschweige denn gefördert.

Politische Prozesse öffnen

Wenige Tage nach der US-Präsidentschaftswahl schauen viele staunend zu Barack Obama und seiner Kampagne, die das Potential hat, Politik nachhaltig zu transformieren. Mit viel Selbstverständlichkeit wird darüber diskutiert, wie sich die Regierung den Bürgern öffnen kann. Auch in diesem Themenbereich gibt es viel Innovationspotential in Deutschland. Die wenigen eDemokratie Projekte der letzten Jahre haben aber immer noch Leuchtturm-Charakter. Das Potential ist da, aber der Wille, politische Prozesse mit Hilfe des Internets zu öffnen und transparenter zu gestalten, fehlt leider. Da hilft auch kein Video-Podcast unserer Bundeskanzlerin, wo diese immer Samstags eine kurze Rede zur Nation vom Teleprompter abliest, aber nicht bereit ist zum Zuhören.

Möglichkeiten für eine transparentere, inklusivere und demokratischere Politik gibt es in der Informationgesellschaft viele: Staatliche Informationen gehören selbstverständlich unter offene Lizenzen. Informationsfreiheit muss praktiziert werden, nicht nur durch mühsame Einzelanfragen aufgrund der Informationsfreiheitsgesetze, sondern durch proaktive Transparenz und Veröffentlichung von Regierungsdokumenten und -daten. Partizipationsmöglichkeiten müssen auf allen Ebenen erweitert werden – eDemocracy erschöpft sich nicht in Aktionsplänen zur Verwaltungsmodernisierung! Offene Schnittstellen in der Politik sind notwendig für die demokratische Teilhabe.

Medienkompetenz auch für Politiker

Wünschenswert wären Medien-kompetente Politiker, die das Netz auch in ihr Leben integriert haben. Nur so können sie sinnvoll diese Rahmenbedingungen für das digitale Zeitalter schaffen. Die Realität ist leider so, dass Politiker immer noch damit kokettieren, dass man sich das Internet gerne ausdrucken lässt. Die Generation Internet findet dieses nicht lustig, sondern nur noch armselig. Ein nationaler IT-Gipfel, der seine Arbeitsgruppen hinter geschlossenen Türen tagen lässt, dessen Teilnehmerspektrum nur die üblichen Verdächtigen umfasst und der die Bürger und ihre Ideen ausgrenzt, gehört heute schon zum alten Eisen.

Vielleicht brauchen wir einen nationalen Internet-Gipfel, um die Herausforderungen der digitalen Gesellschaft mit allen Beteiligten anzugehen. Wir brauchen eine Diskussion darüber, wie die digitale Umwelt menschenwürdig gestaltet, gerecht durchgesetzt und nachhaltig entwickelt werden kann. Es ist an der Zeit Deutschland als freiheitliche und demokratische Gesellschaft, als innovativen und in der Breite getragenen High-Tech-Standort und als offene und diskursfreundliche Kultur-Nation handlungsfähig für die Zukunft zu machen.Aber dazu braucht man auch Strukturen und Prozesse, die der Informationsgesellschaft gerecht werden.

In so einem Zeitungskommentar kann man leider aus Platzgründen nur wenige Forderungen unterbringen. Ich hab mich daher auf vier wichtige Punkte konzentriert. Etwas mehr Positionen finden sich hier: Forderungen für eine zeitgemässe Netzpolitik 2.0.

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28 Ergänzungen

  1. *Signiert.
    Serh schön auf den Punkt gebracht und ich werde mich morgen überraschen lassen, denn meine Erwartungen sind sehr niedrig und werden sicher bestätigt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man auch nur eines der Themen anspricht, geschweige denn beantwortet.

  2. Ähm…ja, aber was jammerst du hier über eine Elitenveranstaltung? Du bist doch eingeladen oder seh ich das falsch? Dann bring doch deine Themen vor Ort an!

  3. Das hab ich hier schon (inklusive der Kommentare) geschrieben: http://netzpolitik.org/2008/it-gipfel-der-bundesregierung/

    Und wenn ich sowas lese, wie meine Einladung zustande kam, bin ich ganz froh, da nicht hinzufahren: http://idw-online.de/pages/de/news289017

    Klingt der Text eigentlich wie jammern? Ich habe eine Meinung geäussert, dass es mit der Netzpolitik in Deutschland nicht so toll ist und der IT-Gipfel ein gutes Beispiel ist. Wenn ich jammere, klingt das normalerweise anders.

  4. Das war ja mal aus der Seele gesprochen, gerade hinsichtlich des Fokus auf KMU.

    Allerdings bin ich doch für eine große Bundesstrategie zum Thema Open Source und Interoperabilität oder wenigstens eine Bundesstiftung. Was mir Angst macht, ist, dass amerikanische Unternehmen hierzulande agieren können, als wären sie hier zuhause, während etablierte deutsche Akteure an den Katzentisch gesetzt werden, oder vor der Tür warten müssen.

  5. Ich habe bewusst an der Veranstaltung teil genommen – ich glaube, dass man nur urteilen kann, wenn man über den Tellerrand schaut, wenn man auch abseits blickt und nicht immer die Meinung der Medien oder anderer nutzt. Daher nahm ich mir die Zeit und tat dies. Warum kritisieren ohne sich ein Bild vor Ort zu machen. Natürlich ist Politik mehr als eine Teilnahme an einer Showveranstaltung, aber es ändert sich nichts, wenn wir im kleinen, in unseres kleinen Blogosphäre diskutieren. Die meisten Menschen bekommen davon nichts mit. Vor Ort hat man die Möglichkeit schon eher, denn Medien sind vertreten und freuen sich über offene Worte.
    Bisher ist das Blog hier bisher das einzige was ein wenig überlegt und bedacht schreibt, die anderen kommen mit kurzen Artikeln aus, die nur sagen, ich soll und will nicht hin. …

  6. Vor einigen Tagen las ich, dass Obama Direktiven vorab zur Diskussion im web veröffentlichen will … ich hatte Tränen in den Augen.
    Sehr guter Kommentar!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.