Journalisten geschockt: Brockhaus bald im Internet

Kürzlich wurde ja bekanntgegeben, dass der Brockhaus ab April ins Internet wandert und dass die aktuelle, 21. Printausgabe wohl die letzte auf Papier sein wird. Im heutigen Tagesspiegel ist dazu ein Artikel von Caroline Fetscher erschienen (auch online), der zu den schlechtesten Texten gehört, die ich in letzter Zeit lesen musste: Vollgestopft mit Klischees und Ressentiments gegen die ach so neuen Medien — und das Abendland geht natürlich auch mal wieder unter:

Wo wird das Be-Greifbare, Haptische bleiben, das Element des wenigstens minimal weniger Entfremdeten? Wo ereignet sich dann noch das stille Aufdemteppichhocken im Licht der Lampe, das versunkene Blättern im dicken Buch, ohne Computersurren im Hintergrund? […]
Ob und wie ein lexikalischer Hunger die von der Informationsflut verwirrte User-Community im Internet überhaupt auf diese Strecke führt, das wird die Brockhaus AG an den Klickraten messen können. Einstweilen befasst sich das Gros der Internet-User eher mit privaten Ebay-Geschäften und Online-Gebrauchtwagenanzeigen, mit Kochtipp-Websites, hypochondrischen Gesundheits-Chatrooms, Ressentiments verbreitenden Bloggern, Elektronik-Erotik, religiösen, fundamentalistischen, politisch-ideologischen Verschwörungstheorien anonymer Internet-Leader und haufenweise anderem Mist mehr.

Argumente gibt es kaum; eigentlich könnte man im ganzen Text die Vokabeln umdrehen, um daraus ein Plädoyer für das Internet zu machen, ohne dass die Kausalität leiden würde. Hier geht es gar nicht darum, wie eine Enzyklopädie ihr Wissen anbietet: Zwischen den Zeilen steht die Angst einer Journalistin um das eigene Medium. Zurecht, wenn ich darüber nachdenke, mit meinem Abonnement für solche Artikel Geld zu bezahlen.

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25 Ergänzungen

  1. In der taz wird das Thema von anderer Seite beleuchtet: aus der Warte des digital divide. Man darf allerdings nicht vergessen, dass die Lücke zwischen Leuten mit und ohne Internetzugang an anderer Stelle als die zwischen Leuten mit und ohne 2000€ für ein Lexikon.

    taz-Artikel

  2. Also, mal zum Thema (der Text ist wirklich absolut unterstes Niveau):

    Ich find’s schon schade. Ich meine, ein Stückchen gehört für mich zum Brockhaus schon der Buchcharakter. Meiner Meinung nach sollte man eine Lösung finden, beide Varianten weiterzuführen. Wie das aussehen soll, weiß ich jetzt natürlich auch nicht. Aber einen endgültigen Abschied vom Buch möchte ich für mich nicht.

  3. was ich gut an der kritik verstehen kann – auch wenn er mir reichlich maniriert vorkommt – ist das argument mit dem haptischen. ein buch ist ein buch ist ein buch …
    aber die konkurrenz zu wikipedia & co zwingt brockhaus zu einem solchen handeln. der große nachteil des gedruckten werkes: schon kurz nach dem druck ist es nicht mehr aktuell.
    größere bedenken sehe ich darin, dass sich der internet-brockhaus aus webeeinnehamen finanzieren möchte. bleibt da nicht die objektivität auf der strecke?

  4. vermutlich hat die einstellung der printauflage seinen grund – würde die brockhaus ag jedes jahr tausende exemplare verkaufen, würde niemand das geschäftsmodell in frage stellen. fraglich bleibt, wie man damit im internet geld verdienen will. für otto-normalverbraucher wird ein brockhaus-abo selbst für 5 euro im monat vermutlich nicht in frage kommen.

  5. @erlehmann:
    Genau. Ich hab die Sache nach der Hälfte sein gelassen und dann hier „das wichtigste“ daraus gelesen. Da fand ich die Meinungen bei Spreeblick und Ehrensache wesentlich interessanter und lesbarer.

  6. Erst einmal: Yeah, wieder Blogger-Bashing von so genannten „Journalisten“.

    Den Brockhaus würde es ja auch weiterhin gedruckt geben, aber knapp 3000€ haben und nicht haben … Das dürfte denn auch einer der Gründe sein, wieso von der 21. und letzten Auflage weit weniger als die mindestens nötigen 20000 Exemplare verkauft worden sind. Ich bin allerdings gespannt, ob die Rechnung aufgeht, die Redaktion kostet ja weiterhin ihr Geld – oder sind wirklich die Herstellungskosten so immens hoch?

    Der Abgesang dieser „Journalistin“ zeigt leider wieder einmal, wie wenig Teile dieser Zunft das Internet verstanden haben. Da gibt es ungeahnte Chancen und die mauern einfach, wie die Kutschenbesitzer gegen das Auto.

  7. Wie Leibniz (1680) schrieb über die Gefahren des massenhaften Buchdrucks:

    … die schreckliche und stets wachsende Menge von Büchern… Die Autorschaft wird dann vielleicht eine Schande … Eintagsfliegen von Büchern … die nach ein paar ja Jahren vergessen sind, die dem Leser lediglich dazu dienen, sich für einige Augenblicke von seiner Langweile abzulenken, Bücher, die jedoch ohne irgenwelche Absicht, unser Wissen zu fördern, oder die Anerkennung der Nachwelt zu verdienen, geschrieben worden sind… usw.

  8. Schade,
    dass hier hauptsächlich nur auf den mäßigen Artikel eingeganen wird. Ich finde die Tatsache, dass sich eine so wichtige Enzyklopädie nun selbst aufgibt, schon ziemlich krass. Letztendlich wird es den Brockhaus mit Qualität in zehn Jahren dann nicht mehr geben, wenn die Redaktionsarbeit nur noch mit Symbolhonoraren entgolten wird. Und hier sehe ich dann auch ein mittelfristiges Problem für Wikipedia und Wissen allgemein, da viele, viele Artikel große Teile hieraus entleihen.
    Vielleicht sollte man sich die heute so selbstverständliche Situation mal klar machen. Es gibt zur Zeit einen Grundkonsens an (noch nicht falsifiziertem) Wissen, das man dann auch nachschlagen kann. Was ist, wenn es dies nicht mehr gibt?
    Mythen und Verschwörungstheorien sind dann Tür und Tor geöffnet.
    Damit man mich nicht falsch versteht; Wikipedia ist gut und wichtig, aber es stellt ja nur den Wissenstransfer zwischen Fachleuten und Allgemeinheit dar, wobei hier natürlich jeder sowohl Fachmann für sein eigenes Gebiet, als auch Nachfrager von Informationen ist. Es ist aber nicht abzustreiten, dass sich leichter Legenden einschleichen, die sich dann sehr schnell multiplizieren, und VOR ALLEM es fällt die Einordnung der Information unglaublich schwierig. Man verliert sich schlicht im Detail.

    @ffd: Genau dieses Verlorensein im Chaos der Eindrücke beschrieb Leibniz, das Diderot mit seiner ersten Enzyklopädie löste und das aus meiner Sicht wiederkommen könnte.

  9. Mir war gar nicht klar, daß mein auf-dem-Teppich-sitzen- und-im-Buch-blättern dem Rang nach ein Ereignis ist. *wow*

  10. Ach, das Internet ist einfach ein zu zwielichtiger Platz für Manche. Allerdings sollte man nicht die Art und Weise, wie etwas zum Kunden gelangt, einmal kritisieren und einmal loben. Der Inhalt ändert sich doch nicht!

  11. Selektives Zizieren ist manchmal böse. Vor Eurem Zitat steht dieser Satz:

    „Gegen den Impuls, einen an Walter Benjamin erinnernden Klagetonfall anzuschlagen, wird sich kaum ein Bildungsbürger wehren können:“

    Der Autor dieses Artikels hat offensichtlich eine riesige Menge Ironie und Übertreibung verwendet. Man kann mitlachen, mit den Achseln zucken oder beleidigt in der Ecke sitzen.

  12. Das erinnert mich sehr an die Diskussion, die geführt wurde als die Encyclopædia Britannica nur noch online weitergeführt werden sollte. Wir werden sehen wohin das führt. Vielleicht gibt es dann in absehbarer Zeit auch wieder einen gedruckten Brockhaus. Vielleicht werden nur die Intervalle zwischen den Editionen größer. Vielleicht aber auch nicht.

    Das wäre aber auch nicht der Untergang des Abendlandes. Die gedruckte ausgabe der Britannica ist ohnehin viel besser als der Brockhaus. 8^)

  13. Jaja, das vielgerühmt haptische Erlebnis. Das mag für Kuscheldecken, Flauschpullies, selbstverwirklichende Töpferkurse oder Schlamm-Wrestling gelten, aber nicht für Information. Die brauch ich nämlich im Kopf. Wer das traditionell immer noch mit einem großen, unhandlichen Gewicht und staubigem Papier- und Leimgeruch assoziiert, hat den Sprung in die Neuzeit noch nicht so ganz geschafft.
    BTW – auch ich habe hier zwei Enzylopädien stehen (Meyers, ab etwa 1895, und Der Große Knaur (Anfang 1980er). Und nicht selten stöbere ich darin (besonders im Meyers, denn was da steht, findet man kaum mehr im Web). Ich bin auch ein begeisterter Leser, so mit gemütlich machen, lecker Whisky, etc. und opfere lieber ein paar Stunden Schlaf als eine gute Geschichte. Aber Haptik spielt da keine Rolle. Nur insofern als es immer noch zu unhandlich ist, Literatur stundenlang am Bildschirm zu genießen. Bei einem Lexikon (oft, aber eher kurze Verweildauer) geht das wunderbar. Die sonstigen digitalen Vorteile muss ich hier ja nicht wirklich aufzählen.

  14. Die arme hat halt Angst um Ihren Job. Ich habe nie den Sinn in solchen riesigen Lexika gesehen. Naja, ich bin wahrscheinlich zu jung ;)

  15. Ach was. Der Text ist nicht wirklich unterste Kategorie. Der stellt sich schön in Reihe mit den anderen Produkten aktueller Selbstmitleidsprosa der digital Entwurzelten. Ich sage: „bürgerlich-klassischer Wissenserwerb“, go, die! Unter uns, Freunde, wollen wir wirklich von solchen Kultur-Nostalgikern akzeptiert und gelobt werden? Genügt es uns nicht, zu wissen, dass die Angst vor Veränderung ein immanentes Problem unserer Zivilisation ist? Heute warnen sie vor Internet, Computergames, SMSspeak, gestern war es RocknRoll, davor Jazz, der Kinofilm, der bürgerliche Roman (ohne Reime! abstossend!), die weltliche Dichtung, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Alles juvenil, schlecht, unmoralisch und staatsgefährdend. Jaja. Gut, dass wir längst wissen, dass das jeweils aktuelle Jahr (Jahrzehnt, Jahrhundert) vom jeweils darauffolgenden gepwnd wird. omfg.

  16. Typisches Generation: pre-internet gewäsch, als ob ein gedruckter Buchstabe weniger Informationswert hat als ein 8Bit-Ascii oktett…

  17. Mein Problem bei der ganzen Sache ist, dass ich einem eher materiellem Papierbackup mehr Vertrauen schenke, als einer digitalen Information.

    Brockhaus 1.0: Wer autorisiert eine Druckplatte?
    2.0: Wer autorisiert meine Internetverbindung, das Zertifikat, das Zertifikat im Browser, meinen Arbeitsspeicher, meine Grafikkarte, Display und Betriebssystem?

    Da wird die Richtigkeit des Inhalts verständlicherweise schnell zur Nebensache.

    (Mitglied der Papierfraktion)

  18. Ich finde es, angesichts galoppierender Dummheit und weit verbreitetem Halbwissen, gar nicht gut, dass man im Traditionshaus Brockhaus jetzt auf Printmedien verzichtet. In den Klassenzimmern erlebe ich es immer häufiger, dass Schüler überhaupt nicht in der Lage sind, mit Nachschlagewerken, Lexika, Wörterbüchern usw. umzugehen. Das sind oft jüngere Schüler mit wenig Allgemeinbildung. Wenn man genau diese Schüler dann fragt, kommen sie immer aus Familien, die keinerlei Nachschlagewerke im Haus haben. “Papa druckt mir immer was aus, wenn ich was für die Schule brauche”, ist auf Nachfrage fast immer die Antwort. Schüler brauchen Bücher zum Nachschlagen. Sie müssen selbständig, nicht erst wenn Papa abends nach Hause kommt, ihre Hausaufgaben machen, recherchieren lernen, ihre Wissenslücken schließen. Das macht selbstbewußt und unabhängig.Wie soll das gehen, wenn der schnelle Griff zum Buch “unmodern” wird? Ich bin sicher, dass manche Frage unbeantwortet bleibt – weil der PC gerade nicht an ist, weil Papa oder Mama gerade nicht da sind oder etwas anderes zu tun haben. Clevere Kids lernen aus Büchern, sowohl zu Hause als auch in der Schule. Der Umgang mit dem Internet bzw. mit dem Rechner wird früh genug zur Selbstverständlichkeit. Ältere Schüler bestätigen immer wieder, dass der Griff zum Buch viel schneller geht. Bücher sind auch ein sinnliches Vergnügen, das man Kindern nicht vorenthalten sollte. Dazu gehören unbedingt auch umfassende Nachschlagewerke. Ich besitze eine Brockhaus Enzyklopädie, nur selten passiert es, dass ich zusätzlich im Internet recherchieren muss, weil ein Artikel nicht auf dem neuesten Stand ist. Meist geht es doch um Grundsätzliches, das bietet mir meine Enzyklopädie immer.
    Ich finde, dass man Eltern unbedingt ermutigen sollte, ein gedrucktes Nachschlagewerk zu erwerben, es muss ja keine Brockhaus Enzyklopädie sein. Meine EZ hat übrigens nicht mehr gekostet als eine Woche Skiurlaub und sie ist mir seit 8 Jahren ein nützlicher Begleiter.
    Mit bestem Gruß an alle, die diesen Artikel lesen.
    Martina Schulze-Bachler, Grundschullehrerin in Berlin

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