EuGH-Urteil zur Datenweitergabe an Musikindustrie

Der Europäische Gerichtshof hat am 29. Januar sein Urteil im Fall Telefonica vs. Promusicae veröffentlicht. Danach existiert nach EU-Recht keine Verpflichtung für Kommunikationsanbieter, Nutzerdaten im Zivilverfahren an Rechteinhaber herauszugeben. Das Urteil wurde ja überwiegend gefeiert als Stärkung des Datenschutzes gegenüber dem Urheberrecht, siehe unter anderem die Einschätzungen bei Gulli, bei den Grünen, bei DRM-freie-Musik oder bei Sicherheitsstaat.

Von European Digital Rights kommt nun im neuen EDRi-Gram eine etwas skeptischere Einschätzung. Demnach hat der EuGH nicht nur klargestellt, dass es lediglich keine Verpflichtung für die Mitgliedsstaaten gibt, solche Auskunftspflichten zu erlassen, sondern er hat auch den Vorrang des Datenschutzes vor dem Urheberrecht in Frage gestellt. Die Generalanwältin am EuGH, Juliane Kokott, war zwar in ihrer Stellungnahme im Sommer zum selben Ergebnis gekommen wie nun der EuGH, nämlich dass es keine Pflicht der EU-Mitgliedsstaaten gibt, eine zivilrechtliche Auskunftspflicht einzuführen. Sie hatte dies aber anders begründet und dabei unter anderem klargestellt, dass der Datenschutz Vorrang vor solchen Auskunftsansprüchen hat. Dies hat der EuGH in seiner Begründung nun aufgehoben, indem er als Grundsatz eine „Balance“ der verschiedenen Grundrechte vorsieht. Das bedeutet, dass Datenschutz und geistiges Eigentum gegeneinander abgewogen werden können („geistiges Eigentum“ ist laut der EU-Grundrechtecharta ein Grundrecht). Meryem Marzouki vom EDRi-Vorstand schätzt daher die Entscheidung als einen „Rückschritt“ gegenüber Kokotts Stellungnahme ein.

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5 Ergänzungen

  1. Good point, den man in der Tat staerker rausstellen kann. Ich erkenn den Unterschied zwischen „Vorrang fuer Datenschutz“ und „nach Abwägung Vorrang fuer Datenschutz“ nicht wirklich. Dass Rechte gegeneinander abgewogen werden, halte ich fuer trivial, solang es nicht grade um Menschenrechtsfragen geht.

    Mehr als ein Zeichen seh ich da auch nicht und wollte das auch im Text so verstanden wissen: schliesslich bleibt es ja allen Mitgliedsstaaten ueberlassen, das zu halten wie der auf dem Dach. Reingehauen haette natuerlich ein Verbot entsprechender Gesetze auf EU-Ebene, aber das das never ever zu erwarten war, ist ja auch klar.Wobei man bei dem Thema nach der VDS-Richtlinie ja auch froh sein muss ueber jedes „Ihr muesst nicht unbedingt…“ aus Bruessel…

  2. Ich habe das Urteil nicht gelesen, aber mich würde wundern, wenn der EuGH sich an der Grundrechtecharta orientieren würde. Die ist nämlich bisher nur ein Entwurf.

    Und zu Herausgabeansprüchen wegen Urheberrecht ist das letzte Wort des EuGH noch nicht gesprochen.

  3. Rückschritt gegenüber dem Schlussantrag ist falsch. Kokott ist sehr weit gegangen, der EuGH auch – nur noch nicht so weit wie die GenAnwältin. In seiner bisherigen Rechtsprechung hat der EuGH am Ende einer Grundrechtsprüfung jedoch immer im Zweifel für die Liberalsierung votiert. Daher ist das Urteil ein deutlicher Fortschritt, zumal es den nationalen Gerichten (z.B. Bundesverfassungsgericht) ermöglicht, nunmehr den Grundrechten auch bei europäischen Vorgaben mehr Bedeutung einzuräumen. Das könnte vor allem bei der Entscheidung zu Vorratsdatenspeicherung bedeutsam werden.

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