OOXML – Letzte Chance für die Schweiz ihr Gesicht zu wahren

Matthias Stürmer hat für Netzpolitik einen Gastbeitrag zur Debatte rund um die Wirren der Standardisierung von OOXML in der Schweiz geschrieben:

Letzte Chance für die Schweiz ihr Gesicht zu wahren

Nachdem nun von überall in der Welt die Resultate der nationalen Standardisierungsgremien bezüglich dem ISO Fasttrack-Verfahren von OOXML veröffentlicht werden, bleibt die Lage in der Schweiz bis zum letzten Moment unklar. Zwar hat der Kommissionsleiter Hans-Rudolf Thomann Anfang der Woche bereits stolz verkündet, dass mit überwältigender Mehrheit OOXML angenommen wurde. Jedoch bereits 24 Stunden später verkündete ein vom Präsident, dem CEO, dem COO und einem weiteren Vorsitzenden der Schweizerischen Normenvereinigung (SNV) unterzeichneter Brief an alle Kommissionsmitglieder, dass die Resultate der ersten Abstimmung als ungültig erklärt wurden. Es werde nun bis am 1. September 24 Uhr eine zweite Abstimmung durchgeführt – das definitive Resultat muss dann am 2. September an die ISO übermittelt werden. Dies zeigt, dass die hartnäckigen Proteste durch FSFE und SIUG schliesslich auch die obersten Etagen der alteingesessenen SNV verunsichert haben.

Zurecht, denn was sich zuvor in der UK14, die über OOXML beratende Kommission, abgespielt hat, ist tatsächlich skandalträchtig. Nicht nur, dass zahlreiche Kommentare von Norbert Bollow der SIUG abgelehnt wurden, ohne richtig diskutiert zu werden. Auch hat es Herr Thomann, der so genannte Convenor von UK14, leider versäumt, die Mitglieder der Kommission darauf aufmerksam zu machen, dass am Ende der Sitzung abgestimmt würde. Die Sitzung dauerte zudem bis 18 Uhr, und nicht wie angekündigt, bis 12 Uhr.  So kam es, dass sich zwar eine Mehrheit der Anwesenden gegen OOXML aussprach, sich jedoch der Convenor die Freiheit nahm, die Empfehlung der Kommission in die Befürwortung des OOXML-Standards umzuwandeln. Somit konnte in der ersten Abstimmungsrunde nur noch darüber befunden werden, ob man die Empfehlung der Kommission annehmen wollte oder nicht – offenbar ein klarer Verstoss gegen die SNV-Richtlinien, wie die Direktion offenbar kurz vor dem Ende erkannte.

Unabhängig davon, wie nun das Resultat heute Abend in der Schweiz oder im Februar 2008 in der ISO ausgehen wird, stellt sich die Frage, was genau der Wert eines solch offenbar umstrittenen ISO-Standards ist. Ausser Microsoft selber, seinen vergoldeten Partnern und einigen trägen, öffentlichen Institutionen hat nämlich niemand Interesse an unterschiedlichen Standards für das gleiche Ziel. (ODF ist bereits seit über einem Jahr ein ISO-Standard für Office-Dokumente). Wer schon mal mit einem Dreipol-Stecker in Europa rumgereist ist weiss, wieso Auswahl nicht immer von Vorteil ist. Dann zeigt die aktuelle Situation auch, dass dieser ganze Normierungsprozess wie er heute läuft, offenbar einfach zu umgehen ist. In den letzten 14 Tagen sind rund 20 Microsoft Gold Partner der Kommission beigetreten – ganz ohne finanzielle Anreize, wie Marc Holitscher von Microsoft wiederholt vehement betonte. Und das mag ja auch stimmen, denn die Partnerfirmen haben ja ebenfalls ein existenzielles Interesse an der Abhängigkeit ihrer Kunden von Microsoft. Dennoch wird die schön formulierte Philosophie des SNV durch die aktuellen Vorgänge krass verletzt. Neben dem sich die Institution in ihrer Mission rühmt, zum Wohle der Gesellschaft und Wirtschaft zu agieren, kann sie leider ihrer eigenen Vision nicht gerecht werden: „[…] Neben diesen rein geschäftlichen Überlegungen darf man aber nicht vergessen, dass die Welt auch in einem erweiterten Sinne Normen braucht. Dann nämlich, wenn es um ‚gute Praxis‘, Verantwortung, Fairness und Ethik im Zusammenspiel von Wirtschaft und Gesellschaft geht.“ Wenn somit die SNV den OOXML-Standard nicht klar ablehnt oder sich zumindest enthält, hat sie ihre Glaubwürdigkeit endgültig verspielt.

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4 Ergänzungen

  1. Nun ist der Entscheid auch auf der Webseite vom SNV:
    43 Ja, 14 Nein,
    „Aufgrund dieses Resultates stimmte die SNV im Namen der Schweiz mit: „Annahme mit Kommentierung“, weil die Experten vorgängig einige Kommentare zum Dokument erarbeitet hatten.“

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