Online-Durchsuchungen auf Rechtsgrundlage einer „Dienstvorschrift“?

Laut Gisela Plitz von der FDP-Fraktion hat die Bundesregierung in einer heutigen Sitzung des Innenausschusses „die Katze aus dem Sack“ gelassen:

Auf Antrag der FDP musste die Bundesregierung in der heutigen Sitzung des Innenausschusses die Katze aus dem Sack lassen und einräumen, dass Online-Durchsuchungen von Computern durch Nachrichtendienste des Bundes bereits seit 2005 auf der Rechtsgrundlage einer „Dienstvorschrift“ stattfinden, die vom damaligen Innenminister Otto Schily abgezeichnet worden sei. Hierzu stelle ich fest: Eine Dienstanweisung ist eine unter keinem Gesichtspunkt geeignete Rechtsgrundlage für Eingriffe in die Grundrechte der Bürger. Geradezu empörend ist die Auffassung der Bundesregierung, ein Eingriff in den Schutzbereich der Unverletzlichkeit der Wohnung liege schon gar nicht vor, jedenfalls nicht so lange der Computer „im Garten“ steht. Auch eine Verletzung des Fernmeldegeheimnisses und des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung sehe man nicht.

Gibt es irgendwo weitere Quellen, die das mit dem „Garten“ näher verifizieren?

Update: Heute im Bundestag hat noch einige weitere Infos zu der Sitzung.

Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Januar 2007, wonach für die Online-Durchsuchungen im Bereich der Strafprozessordnung eine formalgesetzliche Grundlage gefordert wurde, gelte für den nachrichtendienstlichen Einsatz nicht, erklärte der Vertreter des Kanzleramts. Man sehe in dem Vorgehen der Nachrichtendienste auch keine Eingriffe in die Artikel 10 und 13 des Grundgesetzes (GG): Da man nur auf Festplatten, aber nicht auf eine laufende Kommunikation zugreife, werde Artikel 10 (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis) nicht berührt. Auch die Unverletzlichkeit der Wohnung, die Artikel 13 regele, werde nicht berührt, da es nicht um die Überwachung innerhalb der Wohnung stattfindender Vorgänge gehe, sondern etwa Laptops auch im Freien benutzt werden könnten.

Danke an Maritta für den Hinweis.

Update: Jetzt gibts auch bei Golem einen Artikel mit mehr Zitaten: Innenministerium: Online-Durchsuchungen längst Usus.

Auch von Wolfgang Wieland, Sprecher für innere Sicherheit von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, gibt es scharfe Worte: „Die heute bekannt gewordenen gesetzlich nicht zulässigen Online-Durchsuchungen durch den Bundesnachrichtendienst und den Verfassungsschutz zeigen erneut, wie es um die Bürgerrechte in der großen Koalition bestellt ist. Erst vor wenigen Taten rief der SPD-Vorsitzende Beck seine Partei zur Bürgerrechtspartei aus. Heute schon ist sie Teilhaberin eines rechtsstaatlichen Abbruchunternehmens.“

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11 Ergänzungen

  1. Der „Ticker“ des Bundestages, hib, meldet es ausführlicher und mit Stellungnahmen auch der Parteien:

  2. Sorry, ich gebe es zu, ich komme mit den Tags nicht zurecht, hier also:

    Nachrichtendienste führen Online-Durchsuchungen längst durch
    Innenausschuss
    Berlin: (hib/SUK) Der Bundesnachrichtendienst und das Bundesamt für Verfassungsschutz führen bereits seit zwei Jahren so genannte Online-Durchsuchungen durch. Darüber informierte ein Vertreter des Bundeskanzleramts am Mittwochvormittag die Abgeordneten des Innenausschusses. Der Zugriff auf PC-Festplatten sei vor dem Hintergrund der Bedrohung durch den internationalen islamistischen Terrorismus und im Kampf gegen Proliferation ein „wichtiges geheimdienstliches Einsatzmittel“ und spiele auch bei der Einsatzplanung der Bundeswehr eine Rolle. Der Einsatz dieses Mittels sei für das Bundesamt für Verfassungsschutz seit der Änderung einer Dienstvorschrift durch den damaligen Bundesinnenminister Otto Schily im Juni 2005 möglich. Für den BND sei der Einsatz im BND-Gesetz geregelt. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Januar 2007, wonach für die Online-Durchsuchungen im Bereich der Strafprozessordnung eine formalgesetzliche Grundlage gefordert wurde, gelte für den nachrichtendienstlichen Einsatz nicht, erklärte der Vertreter des Kanzleramts. Man sehe in dem Vorgehen der Nachrichtendienste auch keine Eingriffe in die Artikel 10 und 13 des Grundgesetzes (GG): Da man nur auf Festplatten, aber nicht auf eine laufende Kommunikation zugreife, werde Artikel 10 (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis) nicht berührt. Auch die Unverletzlichkeit der Wohnung, die Artikel 13 regele, werde nicht berührt, da es nicht um die Überwachung innerhalb der Wohnung stattfindender Vorgänge gehe, sondern etwa Laptops auch im Freien benutzt werden könnten. Während sich die FDP „nicht sonderlich überrascht“ über diese Aussagen zeigte, stellte die Linke fest, man werde „seit zwei Jahren verarscht“ – ein Vorwurf, der vom Vertreter des Kanzleramts umgehend zurückgewiesen wurde. Die Liberalen bezweifelten, dass mit den Online-Durchsuchungen nicht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beeinträchtigt werde und bat dazu um die Einschätzung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz Peter Schaar. Diese betonte, wenn Computer von der Durchsuchung betroffen seien, die zum persönlichen Gebrauch verwendet würden, handele es sich seiner Ansicht nach um Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung oder sogar um Eingriffe in den „absolut geschützten Kernbereich“. Zudem würden Computer auch in geschlossenen Räumen ohne öffentlichen Zugang benutzt – damit sei Artikel 13 GG berührt. Der Bundesgerichtshof habe eine „normenklare Rechtsgrundlage“ gefordert, die das Verfassungsschutzgesetz nicht biete. Ohne eine „spezialgesetzliche Regelung“, die Online-Durchsuchungen explizit regele, seien diese Durchsuchungen auch durch den Verfassungsschutz „unzulässig“. Grundsätzlich seien die Zugriffe auf PC-Festplatten auf zwei Arten denkbar: Entweder könnte auf dem Computer eine Software von Anfang an oder nachträglich aufgespielt werden, die neben den normalen Funktionen auch verdeckte habe – so genannte Trojaner. Möglich sei außerdem, Programme auf die Computer zu schleusen. Auch die SPD zeigte sich überrascht, dass in der Vergangenheit derartige Durchsuchungen bereits mehrfach durchgeführt wurden. Die Union dagegen bezeichnete die Durchsuchungen als „notwendiges Instrument, das wir brauchen werden“. Sie regte jedoch an, über eine Neuregelung des Artikels 13 GG nachzudenken und stellte die Frage, ob nicht der bisherige Schutzbereich der Wohnung auch Computer umfassen sollte. Allerdings gelte: Wer auf die Sicherheit des Internets vertraue, sei „arm dran“.

  3. Philip, hab ich schon gesehen. Die Argumentation ist aber ziemlich platt und langweilig. Sieht zu berechnend aus, um mal etwas Debatte zu starten.

  4. Allerdings gelte: Wer auf die Sicherheit des Internets vertraue, sei “arm dran”

    Hihi… wer das Internet für sicher hält… für den ist es zu spät, und doch nicht zu spät. GnuPG, SSL, SSH, cryptFS, dm_crypt, … noch ist nicht alles verloren.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.