Neonazis im Netz

Tagesschau.de berichtet, wie sich Neonazis im Internet ausbreiten: Wenige Aktivisten – mit viel Raum. Also eigentlich breiten sie sich nicht besonders aus, sondern nutzen nur wie viele andere aus dem gesamten politischen Spektrum das Netz zur politischen Kommunikation und Vernetzung. Eigentlich ist auch nur der Schluss des Artikels interessant:

Trotz der Probleme: Der Erfolg des modernisierten Rechtsextremismus in Deutschland scheint ohne das Aufkommen des Internets kaum denkbar. Das Netz ist zum Macht- und Meinungsfaktor geworden – und daher auch innerhalb der Neonazi-Szene heftig umkämpft. So hat die NPD – nicht an offenen Debatten interessiert ist – bereits mehrfach versucht, oppositionelle Meinungen in den eigenen Reihen zu unterdrücken, indem Seiten von Landesverbänden unter dubiosen Umständen abgeschaltet wurden.

Und mehr noch: Das Medium beeinflusst offenbar selbst die rechtsextreme Ideologie. Längst handelt es sich bei den modernen Nazis nicht mehr um eine durch und durch autoritär geprägte Bewegung. Die meisten Ereignisse in der Bewegung werden im Internet kontrovers diskutiert, wenn auch oft auf erbärmlichen Niveau; dennoch gibt es eine gewisse Dynamik, aus der Ideen und Strategien entstehen. Und Politik und Öffentlichkeit stehen dann staunend vor Phänomenen wie dem Aufkommen der „Autonomen Nationalisten“ – wirksame Gegenstrategien fehlen zumeist.

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6 Ergänzungen

  1. Die aktuelle (organisierte) Neonazi-Szene teilt sich organisatorisch in zwei Hauptteile : Parteien und freie Kameradschaften. Diese Teilung ist aber (vorwiegend) nicht als Verlust an autoritären Strukturen zu verstehen. Vielmehr bilden die Kameradschaften die Strukturen für das übliche rechtsextreme Vorgehen ohne die Gefahr, dass zum Beispiel eingetragene Vereine verboten werden können, weil sie einfach nicht in einer Rechtsform aufreten.

    Das Phänomen „Autonomen Nationalisten“ (und genauso Anti-Antifa etc.) als Subkultur rührt auch daher, dass es diesen Personengruppen (Gott sei Dank) nicht leicht gemacht wird. Das eindeutige Outfit des Rechtsextremen kann je nach Region und Stadtteil schnell mal zu erheblichen Ärger führen. Ausserdem haben die Strippenzieher gemerkt, dass die Heimatstadl- und Skinhead-Fraktion einfach nicht die nötige Masse für ein effektives Arbeiten bietet.

    Freie Kameradschaften in der Wikipedia

  2. Natürlich wäre die gegenwärtige Stärke der Nazis ohne das Netz nicht denkbar, weil praktisch nichts mehr ohne das Netz öffentlichkeitswirksam wird. Aber das erweckt in dieser Darstellung den Eindruck, daß es nicht bestimmte Auffassungen sind, die sich im Netz ihre Repräsentation schaffen, sondern daß diese Auffassungen erst wegen des Netzes und durch das Netz entstehen würden. Das ist Quatsch.

    Auch die Autonomen Nationalisten sind same procedure as always. Wie in den Zwanzigern werden Outfit und Slogans der radikalen Linken adaptiert und sparsam mit völkischem Gedankengut versehen, es wird auf anschlußfähige linke Ideologeme gezielt (heute: Volksbefreiung, Anti-USA, Anti-Israel, Palitücher usw.) und allgemein auf revolutionär gepost.

    Nationalbolschewisten gab es aber in Deutschland seit Ende des Ersten Weltkriegs immer – es ist eher die Frage, warum das so wenig zur Kenntnis genommen wurde und wird.

  3. Ja, das Netz verändert die Bewegung – oder macht nur die Widersprüche transparenter… Wir hatten mal das Problem, dass in einem Nazi-Forum zur Demo gegen Vorratsdatenspeicherung aufgerufen wurde. Im Endeffekt tauchte keiner von denen (sichtbar) auf, aber die Diskussionen im Forum waren zu komisch: „Wäre in einem vollständig entwickelten Nazi-Staat Überwachung noch nötig? Gegen wen?“ Und so weiter… Zum Schreien. Besser als jede Satire.

  4. „wirksame Gegenstrategien fehlen zumeist.“

    Der Versuch, Nazis totzuschweigen funktioniert eben genauso wenig, wie sie zu Überwachen. Das einzige Mittel zur Lösung des Problems ist, öffentlich über Faschismus zu diskutieren, sowohl die Nazis als auch ihre Gegner ernst zu nehmen.
    Denn um eine Sache bearbeiten/verändern/bekämpfen zu können, muß man sie verstehen. Verbote und Regeln sind am wirkungsvollsten, wenn der Betroffe ihre Hintergründe kennt.

  5. @Ralf Im Fall der Vorratsdatenspeicherung mag das stimmen, aber ein anderes Beispiel, wo deutlich wird, dass die Nazis „die Themen der Linken“ adaptieren, ist der kommende G8-Gipfel in Heiligendamm. Siehe diese Bundestagsdrucksache.

    Es ist auch sehr praktisch für „die Nazis“ (kann man ja eigentlich nicht so sagen …), sich genauso wie die Linken anzuziehen. (Unabhängig davon, dass sich natürlich auch die ideologische Strategie in den letzten Jahren geändert hat), denn es fällt der Polizei wirklich noch schwer, Linke und Nazis auf den Demos zu unterscheiden.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.