Reaktionen auf das Urteil zur Rasterfahndung

Inzwischen haben sich einige Politiker, Datenschützer und andere Gruppen zum heutigen Urteil aus Karlsruhe geäussert.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar verlangt, dass die strengen Kriterien der Karlsruher Richter auch bei anderen „Maßnahmen mit entsprechender Streubreite“ angewendet werden,

„etwa bei der präventiven Erfassung von Kfz-Kennzeichen und bei der sog. Funkzellenabfrage bei Verbindungsdaten der Telekommunikation. Auch der Gesetzgeber ist gehalten, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu beachten, etwa bei der im Rahmen der Föderalismusreform diskutierten Festlegung von Vorfeldkompetenzen für das Bundeskriminalamt.“

Der Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, verlangt, sämtliche Rasterfahndungsbefugnisse auf den Prüfstand zu stellen und die Polizeigesetze anzupassen. Besonderen Bedarf sieht er in seinem Land, wo 2005 die gesetzliche Grundlage der Rasterfahnung unbefristet verlängert wurde. Weichert: „Im Rahmen der aktuellen Novellierung des Polizeirechts sollte der § 195a ersatzlos gestrichen werden.“ Auch er sieht Auswirkungen auf andere Überwachungsmaßnahmen wie das Scannen von Autokennzeichen:

„Das derzeit im Rahmen der Polizeirechtsnovelle geplante Kfz-Kennzeichen-Scanning ist eine Maßnahme, die der Rasterfahndung ähnelt. Der Regelungsvorschlag der Regierung ist nach dem heutigen Beschluss nicht zu halten. Im Hinblick auf das Gesetzgebungsverfahren sollte die Landesregierung endlich ihre Verweigerungshaltung aufgeben und die verfassungsrechtlichen Vorgaben berücksichtigen. Dem Landtag kommt nun die gewaltige Aufgabe zu, einen bisher verfassungswidrigen Entwurf grundgesetzkonform machen zu müssen.“

Der rheinland-pfälzische Innenminister Karl Peter Bruch (SPD) will als Reaktion auf das Urteil das Polizei- und Ordnungsbehördengesetz seines Landes überprüfen. Es sei durchaus möglich, dass es gesetzliche Änderungen geben könne, sagte er laut SWR.

Der Datenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg, Peter Zimmermann, bezweifelt ebefalls die Rechtmäßigkeit des dortigen Polizeigesetzes und fordert eine Überarbeitung. Die Rasterfahndung habe ohnehin nichts gebracht, denn „unter dem Strich kam in Baden-Württemberg nichts heraus“.

Der „freie zusammenschluss von studentInnenschaften“, der die gerasterten ausländischen Studierenden seit 2001 unterstützt hatte, begrüßt das Urteil ebenfalls. Der Dachverband der Studierendenschaften fordert nun eine persönliche Entschuldigung der Verantwortlichen. Sein Sprecher Christian Berg:

„Das Urteil macht deutlich, dass die Bundesrepublik mit den Grundrechten ausländischer Studierender nicht umspringen kann, wie sie möchte. Ausländische Studierende, vornehmlich aus arabischen Ländern, wurden unter Generalverdacht gestellt und waren monatelang unter den absurdesten Umständen polizeilicher Willkür und dem Misstrauen ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen ausgesetzt.“

Natürlich gibt es immer noch Hardliner, die die Entscheidung des Verfassungsgerichtes nicht gut finden. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) ist so einer. Sein Kommentar: „Das ist ein schwarzer Tag für die wirksame Terrorismusbekämpfung in Deutschland. Für das Bundesverfassungsgericht hat hier der Datenschutz fälschlicherweise einen höheren Stellenwert als der Schutz der Bevölkerung vor Terroranschlägen.“

Die Karlsruher Richter haben ja die Rasterfahndung nicht komplett verboten, sondern an die Bedingung einer konkreten und nicht abstrakten Gefährdung geknüpft. Es darf also nicht allgemein eine Bedrohung durch Terrorismus vorliegen, sondern es muss konkrete hinweise auf einen bevorstehenden Anschlag geben. Das Bundesinnenministerium versucht diese klare Unterscheidung, die juristisch schon lange eingeführt ist, mit einem billigen Trick aufzuweichen: Bei internationalem Terrorismus liege häufig nur ein schmaler Grat zwischen einer abstrakten und einer konkreten Gefährdungslage. Dann sollen sie halt im Zweifelsfall konkrete Hinweise auf den Richtertisch legen, wenn sie immer noch rastern wollen.

Der Chef der Polizeigewerkschaft, Konrad Freiberg, scheint dagegen begriffsstutzig zu sein. Er behauptet jedenfalls, er

„kann nicht verstehen, dass die Gerichte den Handlungsspielraum der Sicherheitsbehörden, die Bevölkerung vor katastrophalen Anschlägen zu schützen, immer wieder einschränken“

Kurzes Nachdenken und ein Lesen der Urteilsbegründung könnten vielleicht helfen. Ausserdem sollte man den mal daran erinnern, dass in den letzten Jahren immer wieder die Freiheitsrechte der Bevölkerung eingeschränkt worden sind und die Gerichte kaum noch hinterher kommen, die Allmachtsphantasien der Sicherheitspolitiker zu bändigen.

Etwas skurril ist der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Karl Peter Bruch (SPD). Er will prüfen, ob das Polizeigesetz jetzt geändert werden muss. Gleichzeitig will er trotz des Urteils an der Rasterfahndung festhalten. „Sie ist nach wie vor ein notwendiges Mittel zur Abwehr von konkreten Gefahren durch den internationalen Terrorismus“, sagte eine Ministeriumssprecherin. Gibt es notwendige, aber illegale Mittel für den Staat? Das ist wohl diese Masche „Ich tue mal so, als ob ich mich an die Rechtslage halte, mache aber eigentlich weiter wie bisher.“ Dummerweise muss nun also unter Umständen in jedem Bundesland einzeln geklagt werden, denn das Karlsruher Urteil bezieht sich nur auf die Rasterfahndung in Nordrhein-Westphalen, wo der Kläger studierte.

Die Opposition im Bundestag reagierte erwartungsgemäß positiv auf das Urteil. Die FDP-Innenpolitikerin Gisela Piltz warnte unter anderem als Reaktion auf das Urteil vor einer überstürzten Einführung biometrischen Ausweise und forderte eine Aktualisierung das Bundesdatenschutzgesetzes. (Ist zwar nett gemeint, aber das BDSG hat mit Strafverfolgungsregeln kaum etwas zu tun – das ist in der StPO und in den Polizeigesetzen geregelt.) Die Innenexpertin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, forderte eine Überprüfung aller Anti-Terror-Pakete. Es werde immer deutlicher, dass die größte Gefahr für die Grundrechte nicht von angeblichen Islamisten ausgehe, sondern von den staatlichen Antiterror-Maßnahmen selbst, sagte sie.

Interessant ist die Reaktion der Grünen. Der Innenexperte Wolfgang Wieland freut sich, das Urteil schütze die Bürger gegen „ausufernde Datensammelwut“ und fordert die Länder auf, ihre Polizeigesetze zu ändern. Dass die nun für verfassungswidrig erklärte Rasterfahndung 2001 vom Bundeskriminalamt koordiniert wurde und die Grünen sowohl in NRW als auch im Bund damals an der Regierung waren, wird geflissentlich verschwiegen (Fairerweise muss man dazu sagen, dass Wieland selber erst seit 2005 im Bundestag sitzt). Wäre ja schon mal nett zu wissen, ab welchem Punkt die „Bürgerrechtsparteien“ Grüne und FDP eine Koalition platzen lassen würden, wenn sie Maßnahmen der von ihnen getragenen Regierung für verfassungswidrig halten.

Zum Abschluss noch ein schönes Zitat aus der Urteilsbegründung:

„Die Verfassung verlangt vom Gesetzgeber, eine angemessene Balance zwischen Freiheit und Sicherheit herzustellen. Das schließt nicht nur die Verfolgung des Zieles absoluter Sicherheit aus, welche ohnehin faktisch kaum, jedenfalls aber nur um den Preis einer Aufhebung der Freiheit zu erreichen wäre. Das Grundgesetz unterwirft auch die Verfolgung des Zieles, die nach den tatsächlichen Umständen größtmögliche Sicherheit herzustellen, rechtsstaatlichen Bindungen, zu denen insbesondere das Verbot unangemessener Eingriffe in die Grundrechte als Rechte staatlicher Eingriffsabwehr zählt. In diesem Verbot finden auch die Schutzpflichten des Staates ihre Grenze.“

Eigentlich könnten sich die Becksteins dieser Welt jetzt etwas entspannen. Die Verfassungsrichter haben ihnen damit nämlich gesagt, dass sie sich weder um alles kümmern müssen noch dies dürfen. Das sollte doch irgendwie eine Entlastung sein.

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5 Ergänzungen

  1. Die Reaktionen von Beckstein & Co. waren ja zu erwarten. Wobei ich mich (wie immer) frage: Tut Beckstein nur so dumm oder hat er wirklich keine Ahnung? Man muss sich das einmal vor Augen führen: Die 2001er-Rasterfahndung hat nachweislich keinen einzigen Treffer erbracht. Das BVerfG hat auch nicht die Rasterfahndung an sich verboten sondern nur die anlasslose. Und Beckstein tönt doch jetzt tatsächlich, dass die Polizei ohne eine anlass- und wirkungslose Durchleuchtung von ganzen Bevölkerungsteilen nicht arbeiten kann…

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