Pressemitteilung: US-Abhörskandal erfordert Umdenken auch in Europa

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Deutsche Bürgerrechtsorganisationen: Amerikanischer Abhörskandal erfordert Umdenken auch in Europa

In den letzten Tagen ist bekannt geworden, dass der amerikanische Geheimdienst NSA die Telefon-Verbindungsdaten von 200 Millionen Amerikanern sammelt. Es handelt sich dabei um die „größte Datenbank der Welt“. Die gespeicherten Kommunikationsdaten werden automatisch auf Auffälligkeiten geprüft; „soziale Netzwerke“ der Gesprächsteilnehmer werden offengelegt.

Die EU-Staaten haben im Februar 2006 ebenfalls eine systematische und verdachtslose Vorratsspeicherung der Verbindungsdaten der gesamten Bevölkerung beschlossen. In Deutschland hätten nicht nur Strafverfolger Zugriff auf die Kommunikationsdaten, sondern auch Geheimdienste aufgrund des „Terrorismusbekämpfungsgesetzes“. Auch die Musikindustrie soll auf die Daten zugreifen dürfen, so der Entwurf eines „Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums“. Daneben hätten ausländische Staaten wie die USA aufgrund internationaler Verträge (z.B. „Cybercrime-Konvention“) Zugriffsrechte, wie die EU-Kommission kürzlich bestätigt hat.

Sollten die Pläne zur Vorratsdatenspeicherung umgesetzt werden, sind Missbräuche der Daten zu erwarten. Zahlreiche Beispiele in der Vergangenheit zeigen, dass sich der Missbrauch geheimer Überwachungsbefugnisse nicht verhindern lässt. Bekannt geworden ist etwa die Bespitzelung kritischer Journalisten und Aktivisten in Deutschland, politischer Gegenspieler in Frankreich sowie von Menschenrechts- und Umweltverbänden in Großbritannien und den USA. Auch die regierungsinterne und andere sicherheitsrelevante Kommunikation wäre nicht mehr vor unbefugtem Zugriff geschützt, wie der Abhörskandal in Griechenland vor drei Monaten gezeigt hat.

Pressemitteilung vom 15.05.2006, 22 Uhr:

Deutsche Bürgerrechtsorganisationen: Amerikanischer Abhörskandal erfordert Umdenken auch in Europa

In den letzten Tagen ist bekannt geworden, dass der amerikanische Geheimdienst NSA die Telefon-Verbindungsdaten von 200 Millionen Amerikanern sammelt. Es handelt sich dabei um die „größte Datenbank der Welt“. Die gespeicherten Kommunikationsdaten werden automatisch auf Auffälligkeiten geprüft; „soziale Netzwerke“ der Gesprächsteilnehmer werden offengelegt.

Die EU-Staaten haben im Februar 2006 ebenfalls eine systematische und verdachtslose Vorratsspeicherung der Verbindungsdaten der gesamten Bevölkerung beschlossen. In Deutschland hätten nicht nur Strafverfolger Zugriff auf die Kommunikationsdaten, sondern auch Geheimdienste aufgrund des „Terrorismusbekämpfungsgesetzes“. Auch die Musikindustrie soll auf die Daten zugreifen dürfen, so der Entwurf eines „Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums“. Daneben hätten ausländische Staaten wie die USA aufgrund internationaler Verträge (z.B. „Cybercrime-Konvention“) Zugriffsrechte, wie die EU-Kommission kürzlich bestätigt hat.

Sollten die Pläne zur Vorratsdatenspeicherung umgesetzt werden, sind Missbräuche der Daten zu erwarten. Zahlreiche Beispiele in der Vergangenheit zeigen, dass sich der Missbrauch geheimer Überwachungsbefugnisse nicht verhindern lässt. Bekannt geworden ist etwa die Bespitzelung kritischer Journalisten und Aktivisten in Deutschland, politischer Gegenspieler in Frankreich sowie von Menschenrechts- und Umweltverbänden in Großbritannien und den USA. Auch die regierungsinterne und andere sicherheitsrelevante Kommunikation wäre nicht mehr vor unbefugtem Zugriff geschützt, wie der Abhörskandal in Griechenland vor drei Monaten gezeigt hat.

Der Jurist Patrick Breyer vom bundesweiten Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung erklärt dazu: „Die einzige Möglichkeit, um Missbräuche unserer Kommunikationsdaten im In- und Ausland effektiv zu verhindern, ist der Verzicht auf die verdachtslose Vorratsdatenspeicherung. Andernfalls werden sich regierungskritische Personen verstärkt auf Überwachung, Durchsuchungen, Befragungen und Grenzzurückweisungen einstellen müssen – mit entsprechenden Folgen für unsere demokratische Gesellschaft.“

Bettina Winsemann (Twister) von der Datenschutzinitiative STOP1984 schließt sich der Einschätzung an: „Für eine freie und demokratische Gesellschaft ist eine Vorratsdatenspeicherung nicht vorstellbar. Datenvorräte, die, einmal angelegt, bei Bedarf abgesucht werden können, wecken hierzulande Assoziationen mit den Stasi-Akten der DDR. Für eine weitere Fortentwicklung des demokratischen Staates ist es wichtig, dass der Bürger sich frei und unbeobachtet in seiner Kommunikation fühlen kann. Eine verdachtslose Vorratsdatenspeicherung lähmt den demokratischen Prozess, da dessen wichtigster Bestandteil, den Bürger, unter Pauschalverdacht gestellt wird und elektronische „Akten“ über ihn angelegt werden. Eine solche Beobachtung würde sich auf die Meinungsfreiheit und Willensbildung mehr als negativ auswirken.“

Der Politikwissenschaftler Ralf Bendrath vom Netzwerk Neue Medien kritisiert die geplanten Auskunftspflichten an die Musikindustrie: „In den USA gerät die Regierung gerade unter Feuer, weil sie im Zuge der Terrorismusbekämpfung Millionen unverdächtiger Amerikaner bespitzelt. Hierzulande will die Bundesregierung das gleiche sogar privaten Unternehmen bei mutmaßlichen Bagatelldelikten erlauben. Dieses Vorhaben liegt jenseits aller legitimen Strafverfolgungsbedürfnisse und schädigt das Vertrauen der Verbraucher in das Internet nachhaltig.“

Bürgerrechtler wie der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) haben bereits eine Verfassungsbeschwerde gegen die geplante Totalprotokollierung der Telekommunikation in Europa angekündigt.

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ist ein bundesweiter Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internet-Nutzern, der die Arbeit gegen die geplante Vollprotokollierung der Telekommunikation koordiniert. http://www.vorratsdatenspeicherung.net

Die Initiative STOP1984 ist ein offener bundesweiter Zusammenschluss von Verfechtern der informationellen Selbstbestimmung und Gegnern von Überwachung. http://www.stop1984.de

Das Netzwerk Neue Medien e.V. setzt sich für den Erhalt und Ausbau von Bürgerrechten im digitalen Zeitalter ein. http://www.nnm-ev.de

KONTAKT für Nachfragen (Telefon und Email in dieser öffentlichen Fassung gelöscht):
Patrick Breyer, AK VDS
Bettina Winsemann (Twister)
Ralf Bendrath, NNM e.V.
padeluun, FoeBuD e.V.

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9 Ergänzungen

  1. Gut gemacht! Mal schauen, ob und -wie die PE von den Medien angenommen wird. *daumendrück*

  2. Tut mir zwar leid für die Amerikaner, aber ich hoffe das dies jetzt wenigstens uns "retten" wird.

  3. Klasse Presseerklärung! Fehlt vielleicht noch der Hinweis auf die aktuelle BND-Spitzelaffäre. Gut, die erneute, aktuelle BND-Affäre rund um die Bespitzelung von Journalisten ist noch zu ungeklärt, um sie als weiteres Beispiel in einer Presseerklärung aufführen zu können. Aber dafür gibt es ja hier Kommentarmöglichkeiten. Deshalb mein Hinweis: Ist die Vorratsdatenspeicherung erst einmal umgesetzt, wäre es dem BND ein Leichtes, das gesamte Kommunikationsnetzwerk von über den BND recherchierenden Journalisten zu durchleuchten – um Lecks im BND aufzudecken. Dann wären keine Hausdurchsuchungen bei Journalisten mehr nötig, kein Abhören von Telefonen oder Verfolgen von Journalisten durch den BND beim alltäglichen Einkauf im Supermarkt oder in irgendwelchen Tiefgaragen. All dies wäre nicht mehr nötig. Es gäbe dann auch keinen öffentlichen Aufschrei mehr. Keinen BND-Skandal mehr. Nur mögliche Informanten aus solch wichtigen Behörden wie dem BND kämen in Zukunft kaum mehr auf die Idee, sich Journalisten anzuvertrauen, wenn ihr Kommunikationsverhalten dermaßen auf Knopfdruck durchleuchtet werden kann von den Geheimdiensten. Selbst wenn noch Regeln festgeschrieben werden sollten, die das Nutzen der Daten aus der Vorratsdatenspeicherung für solche Fälle einschränken, befürchte ich, dass dies potenzielle Informanten nicht beruhigen würde. Die Folge: Viele Missstände in Behörden werden nicht mehr an die Öffentlichkeit kommen. Das ist nur eine von vielen negativen Folgen der Vorratsdatenspeicherung. Vorratsdatenspeicherung ist also keine Lösung für irgendwelche Sicherheitsprobleme, sondern sie schafft selbst viele Sicherheitsprobleme, weil totale Überwachung des Kommunikationsverhaltens der Bürger ohne ausreichende Kontrolle der Überwacher selbst die kritische Öffentlichkeit beschädigt. Die kritische Öffentlichkeit ist jedoch der Grundpfeiler unserer Gesellschaftsordnung. Die Vorratsdatenspeicherung ist somit ein direkter Angriff auf die Demokratie und keine Verteidigung derselben. Denn die Überwacher werden sich nicht ausreichend kontrollieren lassen können und die gesammelten Datenberge werden kaum ausreichend gegen Missbrauch abgesichert werden können.

    Man könnte also die Frage stellen, warum unsere Politiker so vehement für die Vorratsdatenspeicherung sind. Ein möglicher Weg zur Antwort könnte die bekannte Frage nach dem "Qui bono" sein. Und nein: Der Terror-Abwehr dient die Vorratsdatenspeicherung kaum. Anders als potenzielle Informanten aus Behörden, sogenannte "Whistleblower" also, sind Terroristen nämlich Spezialisten darin, ihre Existenz und ihre Kommunikation zu verschleiern. Sie können es leicht vermeiden, verräterische Spuren zu hinterlassen. Erst recht, wenn sie wissen, dass wirklich jede Telekommunikationsverbindung aufgezeichnet wird. Etwas anderes wäre es vielleicht gewesen, wenn – wie zur Zeit noch in den USA – Telekommunikationsverbindungsdaten nur bei einem konkreten Verdacht erhoben und gespeichert würden. Da hätte sich vielleicht so mancher Terrorist verleiten lassen können, mal unvorsichtig zu sein, so lange er nicht damit rechnet, verdächtig zu sein. Diese Chance ist nun leider mit der Vorratsdatenspeicherung auch abhanden gekommen.

  4. Hab ich "qui bono" geschrieben? Tsss. Heißt natürlich "cui bono". Lautmalerisch bedingter Lapsus. Oder so.

  5. Dass die umfassende Aufzeichnung und Möglichkeit zur Überwachung der Telekommunikationsverbindungsdaten (sprich Vorratsdatenspeicherung) ein Problem für die freie Presse darstellt – und keine spinnerte Idee -, wird gerade handfest auch in den USA deutlich. Journalisten von ABC News berichten in ihrem Blog, dass sie vermuten, dass die CIA u.a. durch die jetzt in den USA Schlagzeilen machende Telekommunikationsverbindungs-Überwachung der NSA auch die Kontaktdaten von Reportern von ABC News, Washington Post und New York Times durchforschen konnten. Wie bei der aktuellen BND-Affäre hier in Deutschland geht es der CIA wohl darum, vor allem interne Lecks über die Analyse der Kontakte der Journalisten zu identifizieren.

    Hier der Bericht im Blog der ABC News Mitarbeiter: http://blogs.abcnews.com/theblotter/2006/05/federal_source_.html

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