Interview mit Lessig über DRM und die Read/Write Society

Der schweizer Tagesanzeiger hat ein längeres und sehr lesenswertes Interview mit Lawrence Lessig: «Es geht um viel mehr als um Hollywood»

Also nutzt die Industrie die aktuelle Diskussion, um ihre Rechte auszudehnen?

Genau. Das Internet ermöglicht plötzlich Zugriffsarten, welche die Menschen bisher nicht hatten. Tatsächlich liesse sich einiges davon mit dem strapazierten Begriff «Piraterie» qualifizieren. Vor allem aber hat die Copyright-Industrie begriffen, dass jetzt ihre Zeit für die Definition der Regeln in einem neuen Zeitalter gekommen ist. Sie nutzt die Gunst der Stunde für eine gnadenlose Schlacht um die Definition der Rechte.

Damit macht sie sich aber bei ihren Kunden sehr unbeliebt. Hätten sanftere Methoden nicht mehr Aussicht auf Erfolg?

Es ist eine langfristige Strategie. Zunächst sehen wir ein aggressives Monstrum, das Studenten und Grossmütter vor Gericht zerrt. Aber das ist nur die Schocktherapie, die den Einbau weiterer Schranken in die Infrastruktur des Internets vorbereitet. Diese werden uns radikal einschränken. Künftige Geräte werden kein Material mehr abspielen, das der Industrie nicht in den Kram passt.

Was halten Sie von Digital Rights Management, kurz DRM?

Das ist eine Problemlösung, die selber eine Reihe grösserer Probleme schafft. Die Auswirkungen sind dieselben, wie wenn Sie das Gift DDT gegen Unkraut spritzen: Das Unkraut ist garantiert tot – aber zugleich haben Sie einen Haufen ekliger Umweltprobleme.

Können Sie das konkreter formulieren?

DRM löst einen winzigen Teil des ganzen Problemkreises: Es rettet das Geschäftsmodell der Industrie, welche kommerzielle Inhalte produziert. Aber DRM sperrt Kultur in technischen Geräten ein – und die Maschine gibt Ihnen nur Zugriff, wenn Sie den richtigen Schlüssel haben. Das bedeutet wahrscheinlich, dass wir in zehn Jahren überhaupt keinen Zugriff mehr darauf haben, weil sich die Software ändert. Die Bücher aus dem 16. Jahrhundert hingegen können wir heute noch lesen, wir müssen sie nur aufschlagen.

[via]

Am Freitag Abend wird Lessig auf der Wizards of OS 4 zu dem Thema „The Read-Write Society“ eine Keynote halten:

I’ve been building a meme about read-write vs. read-only society. The 20th century was the only read-only century in human history, totalitarian, centralizing, controlling. The 21st is the return to read-write.

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4 Ergänzungen

  1. Die Bücher aus dem 16. Jahrhundert hingegen können wir heute noch lesen, wir müssen sie nur aufschlagen.

    Naja, also ich kann nicht alle Bücher aus dem 16. Jahrhundert lesen, einfach weil ich die Sprache, in der damals geschrieben wurde nicht kenne. Von daher hinkt der Vergleich doch sehr. Die Kenntnis der Sprache könnte man mit dem Vorhandensein von Hardware zum Abspielen vergleichen.
    Aber das Nichtmehrfunktionieren von Hardware nach einiger Zeit finde ich jetzt nicht DRM-typisch, das habe ich bei jeglichen digitalen Medien. Versuche heute mal eine 5″-Diskette, selbst wenn Du noch ein Laufwerk dafür hast, an einen Rechner anzuschließen, das geht auch nicht.
    Ich möchte jetzt gar nicht pro DRM reden, ich fand nur den Vergleich sehr unpassend.

    Jens

  2. Lawrence Lessig: „Ich bin einverstanden, dass … einen Madonna-Song zehntausend vermeintlichen Freunden im Internet [weitergeben] … Madonna aus dem Geschäft wirft und dass wir dagegen etwas unternehmen müssen.“
    schade, hier ist cc-fraktion nicht radikal genug für eine wirklich freie gesellschaft, sondern nur das „geringere übel“.

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