Hate-Speech-Gesetz: Geteilte Reaktionen auf den Entwurf des Justizministers

Ist der Gesetzentwurf, der Hate Speech und Fake News in sozialen Netzwerken eindämmen soll, nur „ein erster, kleiner Schritt“ oder führt er zu einer „Löschorgie, die auch viele nicht rechtswidrige Inhalte betreffen wird“? Die Meinungen zum Hate-Speech-Gesetz sind geteilt – wir haben einen Überblick.

Der Gesetzentwurf des Justizministers ruft ein geteiltes Echo hervor. (Symbolbild) Foto: CC0 1.0 Mari Pi

Der Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, mit dem Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) gegen Hate Speech und Fake News auf sozialen Plattformen vorgehen will, hat bei Verbänden, NGOs, Unternehmen, Medien und Parteien gemischte Reaktionen hervorgerufen. Wir haben die weite Definition von sozialen Netzwerken, die privatisierte Rechtsdurchsetzung und die Uploadfilter als gefährlich für die Meinungsfreiheit kritisiert.

Doch andere Einschätzungen sehen den Gesetzentwurf nicht als gefährlich an und fordern sogar eine Ausweitung auf weitere Bereiche. Zudem bringen Kritik und Lob für den Gesetzentwurf weitere Punkte in die öffentliche Debatte ein. Wir bieten hier einen Überblick über die Reaktionen der letzten Tage.

Kurze Fristen könnten zu Löschorgien führen

So warnt beispielsweise Reporter ohne Grenzen vor einer Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit:

„Mit diesem Gesetzesentwurf wirft der Bundesjustizminister einen zentralen Wert unseres Rechtsstaats über Bord: dass die Presse- und Meinungsfreiheit nur beschnitten werden darf, wenn unabhängige Gerichte zum Entschluss kommen, dass eine Äußerung nicht mit den allgemeinen Gesetzen vereinbar ist“, sagte ROG-Vorstandsmitglied Matthias Spielkamp. „Facebook und andere soziale Netzwerke dürfen nicht zum Hüter über die Meinungsfreiheit werden. Dass ausgerechnet der Justizminister diese private Rechtsdurchsetzung in Gesetzesform gießen will, ist beschämend.“

Der IT-Industrieverband Bitkom sieht vor allem die kurzen Fristen als Problem an, die zu einer „Löschorgie“ führen würden:

„Auslegung und Durchsetzung geltenden Rechts sind in Deutschland grundsätzlich Aufgaben von Behörden und Gerichten. […] Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf entledigt sich das BMJV aber seiner originären Pflicht und verlagert die entsprechenden staatlichen Aufgaben bei der Auslegung und Durchsetzung geltenden Rechts auf privatwirtschaftliche Unternehmen. Angesichts der vielen Unbestimmtheiten des Gesetzesvorschlags, unrealistisch kurzer Fristen und der hohen Bußgelder wird dies dazu führen, dass Plattformbetreiber Inhalte im Zweifelsfall eher löschen werden. Folge des Gesetzesentwurfes wäre eine Löschorgie, die auch viele nicht rechtswidrige Inhalte betreffen wird.“

Auch der Branchenverband Eco warnt vor einer wahllosen Löschkultur wegen der kurzen Fristen:

„Unsere Erfahrungen der eco Beschwerdestelle im Umgang mit rechtswidrigen Internetinhalten aus über 15 Jahren zeigen deutlich, dass 24 Stunden zur Einordnung juristischer Grenzfälle häufig ganz einfach nicht ausreichen, da die zu prüfenden Sachverhalte in vielen Fällen juristisch sehr komplex sind. Sollte dieses gesetzliche Zeitfenster kommen, haben wir bald eine wahllose Löschkultur im Internet, weil Unternehmen dann nicht mehr gründlich prüfen, sondern im Zweifel Inhalte schnell löschen, um die gesetzlichen Auflagen zu erfüllen. Exorbitant hohe Bußgelder befördern den Druck zu Löschen zusätzlich.“

Die Digitale Gesellschaft kritisiert Einschränkungen der Meinungsfreiheit und die weite Definition im Gesetzentwurf, was eigentlich ein soziales Netzwerk sei:

Unklar ist zunächst, für welche Anbieter das Gesetz eigentlich gelten soll. Zwar richtet es sich explizit an Anbieter mit mindestens 2 Millionen registrierten Nutzern in Deutschland. Offen bleibt jedoch, ob und gegebenenfalls wie dabei etwa Mehrfach-Accounts einzelner Nutzerinnen und Nutzer oder Profile von Social Bots zu berücksichtigen sind. Gleiches gilt angesichts der verbreiteten Nutzung von VPN und Anonymisierungswerkzeugen für die Frage, wie festgestellt werden soll, dass es sich um registrierte Nutzer im Inland handelt. Des Weiteren ist die Definition des „sozialen Netzwerks“ derart weit, dass sie nicht nur Facebook, Twitter und Youtube, sondern darüber hinaus auch zahlreiche andere Dienste wie Filehoster, Messenger, E-Mail, VoIP und Videochat erfasst.

Der SPD-nahe Verein D64 e.V. sieht im Gesetzesentwurf einen unglücklichen Schnellschuss und eine Gefahr für die Meinungsfreiheit.

D64 erwartet erhebliche Nachbesserungen, da mit der Meinungsfreiheit in Deutschland kurzer Prozess gemacht wird, sollten Plattformen unter Androhung von Bußgeldern angehalten sein, schnell zu löschen und später zu prüfen. Insbesondere sehen wir Upload-Filter generell sehr kritisch. Sie sind der erste Schritt in Schaffung einer Zensurinfrastruktur und schaden damit dem Ziel, Meinungsfreiheit im Internet langfristig zu sichern. Wir brauchen am Ende nicht noch ein weiteres “Zensursula”-Debakel.

Johannes Baldauf, Referent für menschenverachtende Phänomene im Netz und Rechtextremismus-Experte der Amadeu Antonio Stiftung erklärt gegenüber netzpolitik.org:

„Die Benennung von festen Ansprechpartnern zur Rechtsdurchsetzung seitens der Plattformbetreiber und die eingeforderte Transparenzpflicht beim Löschen sind begrüßenswert. Doch solange das Gesetz nicht mit einer Gesamtstrategie verknüpft wird, die die Ursachen von Hate Speech bekämpft, wird es an der Gesamtsituation wenig ändern. Hass darf nicht als ein rein digitales Problem begriffen werden. Insofern sehe ich in dem Gesetz keine sinnvolle Antwort auf Hate Speech. Online gängige Taktiken der Einschüchterung, des Stalking und die Veröffentlichung privater Informationen im Internet (Doxxing) finden keine Berücksichtigung. So wird mit dem Gesetz nur ein geringer Teil des Problems mit Hate Speech adressiert. Menschenverachtung, Rassismus und Abwertung bleiben aber ein gesellschaftliches Problem, unabhängig von Bildung, Geschlecht, Alter. Eine umfassende Strategie zur Prävention von Hass im Internet benötigt eine Ausweitung demokratiefördernder Maßnahmen, Stärkung der Medien- und Informationskompetenz und Unterstützung Betroffener von digitaler Gewalt.“

Die Nachrichten- und E-Mail-Dienste Web.de und GMX, die zu einem Unternehmen gehören, sagten gegenüber netzpolitik.org auf die Frage, ob sie denn aufgrund der weiten Definition im Gesetzentwurf auch betroffen sind:

„Wir gehen davon aus, dass das Gesetz andere Dienste im Fokus hat. Genau können wir das erst nach weiterer Analyse beantworten.“

Eine Sprecherin von Facebook sagt gegenüber netzpolitik.org:

Wir haben klare Regeln gegen Hassrede und arbeiten hart daran, solche Inhalte von unserer Plattform zu entfernen. Um dieses gesellschaftlich relevante Thema anzugehen, arbeiten wir eng mit der Regierung und unseren Partnern zusammen. Bis Ende des Jahres werden über 700 Personen in Berlin gemeldete Inhalte für Facebook bearbeiten. Wir werden den Gesetzesvorschlag des Justizministers prüfen.

Benachrichtigungspflicht schützt vor Zensur

Christian Rath von der taz hält das Gesetz für nicht schlecht. Er schreibt:

Dienstanbieter müssen schon heute rechtswidrige Inhalte löschen. Die derzeitige Praxis zeigt aber, dass sie schon aus Geschäftsinteresse kontroverse Inhalte nicht voreilig löschen. Gegen leichtfertige Löschung von Postings seitens der Netzwerke hilft auch, dass das geplante Gesetz eine Benachrichtigung des angeschwärzten Urhebers vorsieht. Wenn er seine Äußerung für legal hält, kann er klagen. Die Letztentscheidung liegt also immer noch bei den Gerichten. Der benachrichtigte Urheber kann den Fall aber auch einfach publik machen. Dann stünde Facebook als Zensor am Pranger – was dem Netzwerk sicher auch nicht schmeckt.

Der Rechtsanwalt Thomas Stadler sieht das bei Internet Law anders:

Andererseits beinhaltet die geplante Regelung die erhebliche Gefahr, dass soziale Netze wie Facebook, Twitter, XING und andere den Weg des geringsten Widerstandes gehen und im Zweifel auf eine Nutzerbeschwerde hin löschen werden. Es besteht damit die Gefahr, dass in großem Umfang auch rechtmäßige Inhalte gelöscht werden, um eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit von vornherein auszuschließen. Denn die ebenfalls nicht rechtskonforme Löschung legaler und rechtmäßiger Inhalte durch Facebook bleibt sanktionslos, während die Nichtlöschung rechtswidriger Inhalte als Ordnungswidrigkeit bußgeldbewehrt ist. Hierdurch schafft das Gesetz ein gewisses Ungleichgewicht, das durchaus zu einem zensurähnlichen Effekt führen könnte.

Simon Assion kritisiert bei Telemedicus, dass Bundesbehörden zur Bekämpfung bestimmter Äußerungen ermächtigt würden:

Dasselbe gilt für das jüngst veröffentlichte „Netzwerkdurchsetzungsgesetz”, das dem Bundesamt der Justiz eine solche Rolle zuweisen soll. Denn Medienregulierung muss staatsfern organisiert sein, abgeschirmt von politischer Einflussnahme. Außerdem ist die Medienaufsicht Ländersache, nicht Aufgabe von Bundesbehörden.

Union möchte verschärfen und ausweiten

In der CDU gibt es unterschiedliche Positionen. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU im Deutschen Bundestag, Nadine Schön, sagt:

„Es ist erfreulich, dass Bundesjustizminister Heiko Maas nun endlich einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Hasskommentaren in sozialen Medien vorgelegt hat. Nach Monaten des Zögerns zieht er die Daumenschrauben an – nicht zuletzt auf Druck der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Sie fordert darüber hinaus eine „Überarbeitung der Beleidigungstatbestände“, womit eine Verschärfung gemeint ist.

Deutlich weiter geht da die rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker, – und fordert eine Ausweitung des Gesetzes auf das Urheberrecht:

„Der Gesetzentwurf von Justizminister Maas ist ein erster, kleiner Schritt in die richtige Richtung. Wir müssen allerdings deutlich weiter gehen. […] Wir brauchen vielmehr umfassendere Mechanismen der Rechtsdurchsetzung – im Hinblick auf das Strafrecht ohne Beschränkung auf einzelne Straftatbestände ebenso wie das Zivilrecht. Der Staat muss dafür sorgen, dass die Bürger ihre Rechte durchsetzen können, wenn diese auf Internetplattformen verletzt wurden. Das gilt für das Persönlichkeitsrecht ebenso wie etwa für das Urheberrecht. Voraussetzung ist ein Anspruch der Bürger gegen Internetprovider auf Erteilung von Auskünften über die Identität derjenigen, die über die Plattform die Persönlichkeitsrechte anderer verletzen.“

Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, sagt zum Gesetzentwurf:

„Heiko Maas setzt mit seinem Vorschlag für bußgeldbewährte Compliance-Regeln genau die richtigen Maßstäbe. Er tritt der Verbreitung von Hassbotschaften und Halbwahrheiten in sozialen Netzwerken mit klaren Regeln entgegen und nimmt Unternehmen wie Facebook stärker in die Pflicht. Ich bin überzeugt, dass sein Gesetzentwurf zu einer schnellen Einigung mit unserem Koalitionspartner führt.“

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, Jan Korte, weist auf die Privatisierung der Rechtsdurchsetzung hin:

„Die Verpflichtung privater Unternehmen zur Kontrolle der von ihnen verbreiteten Beiträge entbindet den Staat nicht von seinen Aufgaben. Staatsanwaltschaften und Gerichte müssen die Ausstattung und die Sensibilität dafür bekommen, gegen Hassbotschaften, Volksverhetzung und Beleidigung vorzugehen. Um die Gefahr der Zensur und einer privaten Rechtsdurchsetzung zu verhindern, muss der Kampf gegen Hate-Speech so transparent wie möglich geführt werden. Ein Instrument dafür könnte eine unabhängige Monitoringstelle zur Bewertung von Inhalten sein, die sowohl die Löschung rechtswidriger Inhalte durchsetzt als auch vorauseilendes Löschen kritischer, aber legaler Meinungen verhindert.“

Konstantin von Notz, netzpolitischer Sprecher der Grünen, sagt:

Klare und konsequent sanktionierte Gesetzesregeln für ein besseres Melde- und Löschverfahren sind lange überfällig. Denn ohne Druck werden die Unternehmen weiterhin zu wenig tun, darauf haben wir immer wieder hingewiesen. Bei bereits festgestellter Rechtswidrigkeit muss umgehend und in offensichtlichen Fällen innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden.

Deutlich weiter ging die grüne Bundestagsabgeordnete Renate Künast. Sie sagte im Interview mit dem Deutschlandfunk:

Der ganze Gesetzentwurf bezieht sich einmal nur auf strafbare Inhalte. Die Frage, wie Facebook und andere eigentlich mit Hass umgehen, mit Zersetzung, mit einer Diskriminierung, die noch nicht strafbar ist, ist hier überhaupt nicht angetippt, und das ist eigentlich auch ein wirkliches Problem, zumal viele sich ja bewusst in den Graubereich begeben und gerade um die Rechtsprechung zu Beleidigung und anderen Straftatbeständen herumformulieren.

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki sieht in dem Entwurf eine „billige PR-Aktion von Heiko Maas“ und fordert mehr ausreichend qualifiziertes Personal:

„Der aktuelle rechtliche Rahmen reicht locker aus, um gegen Hasskommentare vorzugehen“, verdeutlichte Kubicki. Das eigentliche Problem sei vielmehr, dass einige Behörden an Kapazitätsgrenzen stießen und somit Probleme hätten, den Fällen nachzugehen.

Die Piraten sind der Meinung, dass die ungenauen Begriffsbestimmungen von Beleidigungen und Verleumdungen für zusätzliche Belastungen der Gerichte sorgen würden. Der Piraten-Bundesvorsitzende Patrick Schiffer sagt:

„Dieser Gesetzesentwurf ist reine Symptombekämpfung. Ich frage mich verwundert, warum die Bundesregierung nicht ein konsequenteres Eingreifen der Strafverfolgungsbehörden und die Durchsetzung der vorhandenen Rechtsmittel anstößt. Dieser Entwurf ist jedenfalls das falsche Signal, eine private Zensur brauchen wir nicht. Dieses Gesetz muss verhindert werden!“

5 Ergänzungen

  1. „Wenn er seine Äußerung für legal hält, kann er klagen. Die Letztentscheidung liegt also immer noch bei den Gerichten.“ Ach, man hat jetzt also einen Rechtsanspruch auf Veröffentlichung bei Facebook (wenn es nicht rechtswidrig oder eine Straftat ist), ist ja ganz was neues, oder bereitet die SPD parallel gerade so ein Gesetz vor, immer her damit …

    1. Ja das ist eigenartig, im Zitat darunter vom Rechtsanwalt Thomas Stadler steht:

      Denn die ebenfalls nicht rechtskonforme Löschung legaler und rechtmäßiger Inhalte durch Facebook bleibt sanktionslos

      Das klingt als ob man einen Rechtsanspruch auf Veröffentlichung legaler Inhalte hat, wenn deren Löschung nicht rechtskonform ist.

  2. Interessant ist, dass die SPD der Meinung ist gegen die Verbreitung von „Halbwahrheiten“ entgegen zu treten zu müssen. Das es immer zwei Wahrheiten gibt, scheint es Oppermann darum zu gehen, dass nur noch „die“ eine Wahrheit verkündet wird.
    (das stimmt mit meiner Wahrnehmung der aktuellen Propagandasituation überein. Es wird bei nahezu allen politischen Themen, nur noch eine Ansicht als legitim angesehen )

    Wo woll das hinführen?

  3. Ich arbeite in einem Jugendheim und wir haben ab und zu damit zu kämpfen, unsere Jungen und Mädchen von der Wahrheit oder Nicht-Wahrheit eines Artikels zu überzeugen. Schnell entsteht Verwirrung. Hier muss aufgeklärt werden und von der Politik auch eingegriffen werden. Man sollte sich mit Facebook, Twitter, etc. zusammen setzen und Möglichkeiten ausarbeiten, um Hate-Speech und Fae News einzudämmen.
    Toller Artikel, freue mich auf mehr davon!

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