Schengen-Routing, DE-CIX und die Bedenken der Balkanisierung des Internets

Internet_map_1024_-_transparentMitte Oktober hatten wir das erste Mal über die Pläne der Deutschen Telekom berichtet, innerdeutschen Datenverkehr nicht über ausländische Server oder Leitungen zu routen. Die Idee ist dabei recht simpel und wurde schon vor gut 12 Jahren aufgeworfen. Nun sprach Telekom-Chef Obermann auf dem Cyber Security Summit über ein „Schengen Routing“. Interessanterweise will die Telekom hier Unterstützung durch die Politik, die entsprechende Regulierungen zum Datenverkehr beschließen soll. Die DE-CIX, weltweit größter Internet-Knoten in Frankfurt, wundert sich nun etwas über die Pläne der Deutschen Telekom. Die Telekom ist der einzige große, deutsche Provider, der nicht über das DE-CIX seinen Datenverkehr peered, sondern eigen Peering- und Transit-Verträge mit den anderen Providern aushandelt – auch, um die Vormachtstellung zu stärken und zusätzliche Einnahmen zu generieren.

Summa, Geschäftsführer der DE-CIX Management GmbH, sagte in einer Pressemitteilung, dass das Vorgehen der Telekom Augenwischerei sei.

Wir halten dieses Ziel für gut, aber die Pläne der Deutschen Telekom für öffentlichkeitswirksame Augenwischerei und einen Versuch, ihr altes Monopol in Deutschland de facto wieder herzustellen… Wenn die Deutsche Telekom ebenfalls Datenverkehr über den DE-CIX austauschen würde, könnten wir gemeinsam als deutsche Unternehmen dafür sorgen, dass ein sehr großer Teil des deutschen Datenverkehrs auch im deutschen Rechtsraum bliebe. Wir verstehen daher nicht, dass die Deutsche Telekom stattdessen nach einer gesetzlichen Regelung ruft.

Schengenzone.svgVon Obermann erwähntes „Schengen-Routing“ würde das ganze auf die Länder des Schengener Abkommens ausweiten – zu denen Großbritannien nicht gehört. Auch andere Länder versuchen nationalen Datenverkehr ausschließlich durch die eigenen Leitungen zu routen – allen voran Brasilien. Aber auch in Kanada gibt es Überlegungen den eigenen Datenverkehr, wenn möglich, nicht über US amerikanisches Territorium zu routen. Ziel ist jedes Mal „digitale“ Souveränität (zurück) zu erlangen. In der Praxis ist es dann jedoch nicht so einfach und die Idee des „nationalen Routings“ hat einige Kritiker.

Zum Einen ist es heutzutage gar nicht so einfach „rein“ nationalen Datenverkehr bei den täglichen Aktivitäten im Netz zu produzieren: Buttons von Twitter, Facebook, flattr, Tumblr usw. finden sich auf fast jeder Website. Dazu gesellen sich Dienste wie Google Analytics oder Ad Networks wie Quantcast. Selbst der Besuch auf bundestag.de beinhaltet einen kurzen Stop bei webtrends. Es wäre daher falsch zu glauben, dass entsprechendes „nationales Routing“ besonders vor Überwachung schütze.

Zum Anderen schenken staatliche Überwacher zentralen Punkte, wie z.B. dem DE-CIX, natürlich besondere Aufmerksamkeit, da man hier sehr effizient Daten abfangen kann. Daher das Interesse der britischen GCHQ an Mobilfunkknoten oder die Überwachung des DE-CIX Datenverkehrs durch den BND.

Gleichzeitig gibt es viel Potenzial. Auch, wenn die jetzige Debatte und Vorstöße vor allem aus Angst vor ausländischer Überwachung vorangetrieben werden, könnten die einzelnen nationalen Initiativen auf internationaler Ebene dazu führen, sich ernsthafter mit Internet Governance auseinanderzusetzen. Ansonsten droht wirklich die Balkanisierung des Internets.

From a postcolonial perspective, we need to break open the old boys network consensus that has so far ‚governed‘ the internet. (Geert Lovink)

Dies bedeutet aber zwingend eine multi-nationale Debatte und völkerrechtliche Abkommen – nicht kleingeistige, technische Schnellschüsse, die die eigentlichen gesellschaftlichen und politischen Probleme gar nicht adressieren.

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