Homepageüberwachung: Polizei NRW hat mindestens 34 mal Webseiten-Besucher gerastert

Polizeibehörden des Landes Nordrhein-Westfalen haben seit 2001 mindestens 34 mal die Besucher ihrer Webseiten überwacht. Das berichtet der Innenminister auf eine kleine Anfrage, die wir veröffentlichen. Demnach wurde zwischen 2002 und 2009 immer mindestens eine staatliche Webseite überwacht.

Im September 2012 stellte der Dirk Schatz, Abgeordneter der Piratenpartei im Landtag NRW, eine kleine Anfrage zu „Homepageüberwachungen“ in NRW, über die wir hier berichteten. Damals meldete das Innenministerium 19 Fälle, in denen die Behörden „sämtliche Internetzugriffe auf eine bestimmte Seite der Homepage … erhoben, gespeichert und ausgewertet“ und bei „besonders auffälligen Zugriffen“ die Anschlussinhaber hinter den zugreifenden IP-Adressen ermittelt haben. Kurz darauf wurden weitere Fälle bekannt.

Jetzt hat das Innenministerium eine aktualisierte Liste zusammengestellt, die wir an dieser Stelle veröffentlichen: Homepageüberwachung durch die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen (PDF).

Demnach wurden zwischen 2002 und 2010 statistisch zu jeder Zeit mehrere Webseiten des Landes überwacht. Die kürzeste Maßnahme dauerte eine Woche, die längste sechs Jahre. Anlass waren meist Tötungs- und Sexualdelikte, aber auch Brandstiftung und Raub. Im Jahr 2009 untersagten Justiz- und Innenministerium des Bundes diese Maßnahme, trotzdem führte die Polizei in Mönchengladbach noch im Jahr 2010 eine Homepageüberwachung durch. Hier die Zahlen:

Ermittlungsführende Behörde Delikt Beginn Dauer ca.
PP Aachen Zweifaches Tötungsdelikt 2003 2 Wochen
PP Bielefeld Tötungsdelikt 2005 12 Wochen
  Tötungsdelikt 2007 11 Wochen
  Tötungsdelikt 2008 6 Monate
PP Bochum Serie von Sexualdelikten 2002 5 Wochen
PP Bonn Serie von Sexualdelikten 2006 28 Monate
  Tötungsdelikt 2007 16 Wochen
  Tötungsdelikt 2009 14 Wochen
PP Dortmund Tötungsdelikt 2004 7 Wochen
  Tötungsdelikt 2006 31 Monate
PP Düsseldorf Tötungsdelikt 2006 26 Wochen
  Tötungsdelikt 2007 5 Wochen
PP Duisburg Sexualdelikt 2004 3 Wochen
  Brandstiftung 2006 1 Wochen
  Androhung von Straftaten / Brandstiftung 2007 20 Monate
PP Essen Zwei Sexualdelikte 2004 2 Wochen
  Tötungsdelikt 2006 20 Wochen
PP Hagen Tötungsdelikt 2005 28 Wochen
  Tötungsdelikt 2006  
  Tötungsdelikt 2007 21 Wochen
KPB Heinsberg Tatkomplex aus Tötungsdelikt und vier Sexualdelikten 2006 13 Wochen
PP Köln Sprengstoffanschlag Keupstraße 2004 12 Monate
  Tötungsdelikt 2005 9 Monate
  Tötungsdelikt 2007 8 Monate
  Tötungsdelikt 2007 18 Monate
  Sexualdelikt 2007 15 Wochen
PP Krefeld Tötungsdelikt / Sexualdelikt 2005 2 Wochen
  Tötungsdelikt 2006 1 Wochen
PP Mönchengladbach Tötungsdelikt 2010 21 Wochen
PP Münster Schwerer Raub 2006 7 Wochen
KPB Rheinisch-Bergischer Kreis Vier Sexualdelikte / Raub 2006 1 Woche
KPB Rhein-Erft-Kreis Serie Raubüberfälle 2008 10 Wochen
KPB Wesel Brandstiftung 2004 21 Wochen
LKA NRW Zielfahndung nach einem Mehrfachmörder nach dessen Ausbruch aus der Haftanstalt 2003 6 Jahre

Hintergründe zur Homepageüberwachung und warum viele Juristen diese Maßnahme für illegal halten, haben wir hier ausgearbeitet.

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9 Ergänzungen

  1. Interessant zu wissen wäre jetzt noch, ob irgendeine dieser Überwachungen irgendeinen Hinweis erbracht hat, welcher der Polizei weitergeholfen hat?

    1. Steht im neuen Dokument nicht drin. Im alten hieß es:

      Von all diesen Maßnahmen gibt es in nur einem Fall “nachvollziehbare Erkenntnisse”, wonach die Homepageüberwachung “in Kombination mit anderen Spuren zur Identifizierung und Festnahme von zwei Tätern führte”.

  2. @Andreas: na was denkst du denn? Nimm mal als Beispiel den dort aufgelisteten Sprengstoffanschlag in der Keupstraße. Es ist seit 2011 bekannt, dass dieser aufs Konto des NSU ging und ermittelt wurde niemand, trotz glorreicher 12 Monate(!) andauernder Überwachungsmaßnahme der Website.

    1. Das ist ein äußerst interessanter Hinweis. Eigentlich sollte sich der Untersuchungsausschuss der Sache annehmen (wieviele IPs wurden aufgezeichnet, wieviele Personendaten dazu wurden abgefragt, wieviele Angehörige der Opfer befinden sich auf der Liste, wieviele V-Leute usw), falls sie sich nicht schon im Wahlkampf befinden.

      Leider kam es aber zu einer Panne … gestern wurde ausgerechnet die Festplatte geschreddert, auf der sich die Daten befanden.

  3. Da kann nichts bei rumkommen, die ersaufen einfach in Daten!
    Es wird wahllos alles gespeichert was geht, in der Hoffnung irgendwas zu finden. Aber allein durch die Datenmenge ergeben sich so unglaublich viele mögliche Verbindungen dass die relevanten Informationen einfach verschüttet werden. Die Nadel im Heuhaufen. Und was machen unsere tollen „Geheimdienste“? Sie fordern mehr Personal und noch mehr Möglichkeiten, in der Hoffnung doch noch den entscheidenden Hinweis zu finden. Was sie nicht merken ist, dass der Heuhaufen immer größer wird…
    Immerhin sind sie nicht allein, die amerikanischen Geheimdienste haben noch viel größere Datenberge. Die wissen doch schon lange nicht mehr wo oben und unten ist.
    Viel hilft eben nicht immer viel.

  4. und bei “besonders auffälligen Zugriffen” die Anschlussinhaber hinter den zugreifenden IP-Adressen ermittelt haben.

    Um die auflaufenden Daten einigermaßen sinnvoll nutzen zu können müsste doch zunächst jede IP einem Anschluss zugeordnet werden. Denn da die meisten Nutzer immer noch mit dynamischen IPs unterwegs sind ist ansonsten doch (spätestens nach 24 Stunden) gar nicht erkennbar, ob/daß jemand „besonders auffällig zugreift“ (andere Methoden wie Cookies sind IMO zu einfach zu manipulieren).

  5. Solche Meldungen sollten auch dem Letzten klar machen, dass eine Kooperation mit der Polizei gefährlich ist.

    Wer will denn noch als (potenzieller) Zeuge die Polizei rufen, Hinweise geben oder sich auf den Polizei-Webseiten informieren, wenn man danach als Verdächtiger gilt?

    Diese verbeamteten Verfassungsfeinde schaufeln sich ihr eigenes Grab.

  6. Genau so siehts aus. Beispiel von weiter oben, NSU. Die Polizei hat fast zwanghaft die Opfer und deren Angehörige als Täter verdächtigt. Heißt, wenn zB die Tochter eines Opfers sich per E-Mail an die Polizei wendet, dann werden ihre sämtlichen Bestands- und Verkehrsdaten abgefragt (schließlich ist sie verdächtig), inklusive Passwort zum E-Mail Konto, aus dem wiederum alle E-Mail Kontakte hervorgehen, bei den eingegangenen E-Mails inkl. IPs, zu denen die Staatssicherheit wiederum alle Bestands- und Verkehrsdaten abruft, inklusive Zugang zu allen E-Mail Konten, was wiederum zu noch mehr Verdächtigen führt, von denen alle Bestands- und Verkehrsdaten abgefragt werden, was wiederum …….. da übersieht man schon mal, dass man die Täter schon längst auf einem Video aufgezeichnet hat. DANKE FDP !

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.