Europaparlament belegte schon 2001: Politisch Verantwortliche müssen von Überwachung gewusst haben

Radarkuppeln der ehemaligen Echelon Field Station 81 in Bad Aibling, Bayern.
Radarkuppeln der ehemaligen Echelon Field Station 81 in Bad Aibling, Bayern.
Radarkuppeln der ehemaligen Echelon Field Station 81 in Bad Aibling, Bayern.

Die politisch Verantwortlichen der Europäischen Union und Deutschland haben schon 2001 von der weltweiten Überwachung von USA und Großbritannien gewusst. Das belegt ein Bericht des Europäischen Parlaments, der zwei Monate vor 9-11 das Spionagenetz Echelon offiziell bestätigte. Klar war auch, dass es nicht nur um militärische Vorteile, sondern auch um Wirtschaftsspionage ging.

Genau wie die NSA war auch das weltweite Spionagenetz Echelon mal geheim. Offiziell bestätigt wurde seine Existenz erst durch Untersuchungen des Europäischen Parlaments. Im Jahr 1998 erschien das Buch Secret Power, das viele Details von Echelon erstmals veröffentlichte. Darauf bezog sich der Bericht „Eine Beurteilung von Technologien der politischen Kontrolle“ des wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments. Daraufhin setzte das Parlament einen Ausschuss unter Vorsitz des SPD-Abgeordneten Gerhard Schmid ein, der Echelon untersuchen sollte. Genau zwei Monate vor 9-11 reichte der Ausschuss den Bericht über die Existenz eines globalen Abhörsystems für private und wirtschaftliche Kommunikation ein. Offizieller wird’s nicht.

Die Lektüre des Berichts lohnt sich auch heute noch. Ausgangs-These der Untersuchung war diese:

Als Erstes wurde [ECHELON] zugeschrieben, dass es die Fähigkeit zur gleichsam totalen Überwachung habe. Vor allem durch Satellitenempfangsstationen und Spionagesatelliten solle jede durch Telefon, Telefax, Internet oder E-Mail von gleich welcher Person übermittelte Nachricht abgefangen werden können, um so von ihrem Inhalt Kenntnis zu erlangen.

Mögliche Gefährdungen für Privatsphäre und Wirtschaft durch ein System vom Typ ECHELON gehen aber nicht nur davon aus, dass es ein besonders starkes Überwachungssystem ist. Vielmehr kommt hinzu, dass es im weitgehend rechtsfreien Raum agiert.

Das Fazit des Parlaments aus den Ergebnissen des Berichts war (unter anderem):

dass an der Existenz eines weltweit arbeitenden Kommunikationsabhörsystems, das durch anteiliges Zusammenwirken der USA, des Vereinigten Königreichs, Kanadas, Australiens und Neuseelands im Rahmen des UKUSA-Abkommens funktioniert, nicht mehr gezweifelt werden kann […]

dass nunmehr kein Zweifel mehr daran bestehen kann, dass das System nicht zum Abhören militärischer, sondern zumindest privater und wirtschaftlicher Kommunikation dient […]

dass es deshalb erstaunlich, wenn nicht gar beunruhigend ist, dass zahlreiche Verantwortliche der Gemeinschaft, einschließlich Mitglieder der Kommission, die vom Nichtständigen Ausschuss angehört wurden, erklärt haben, dass sie keine Kenntnis von diesem Phänomen hätten […]

dass ein nachrichtendienstliches System, das wahllos und dauerhaft jedwede Kommunikation abfangen würde, einen Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip darstellen würde und mit der EMRK nicht vereinbar wäre […]

dass sich die Mitgliedstaaten ihrer aus der [Europäischen Menschenrechtskonvention] erwachsenden Verpflichtungen nicht dadurch entziehen können, dass sie die Nachrichtendienste anderer Staaten auf ihrem Territorium tätig werden lassen, die weniger strengen Bestimmungen unterliegen […]

Der Bericht selbst sprach zudem noch diese „Empfehlung“ aus:

An Deutschland und das Vereinigte Königreich wird appelliert, die weitere Gestattung des Abhörens von Kommunikation durch Nachrichtendienste der USA auf ihrem Gebiet davon abhängig zu machen, dass diese im Einklang mit der [Europäischen Menschenrechtskonvention] stehen […].

Eine Minderheitenansicht mancher Abgeordneter ging sogar noch weiter:

Der Bericht des Ausschusses bestätigt die Existenz des von mehreren Staaten, darunter das Vereinigte Königreich, Mitgliedstaat der Europäischen Union, in Zusammenarbeit mit Deutschland betriebenen Abhörsystems Echelon.

Nochmal zusammengefasst: Schon vor 9-11 war offiziell belegt, dass die als Five Eyes bekannten Staaten ein weltweites Spionagenetz betrieben haben, das große Teile der internationalen Kommunikation überwacht. Nicht nur für militärische Zwecke oder gegen Terrorismus, sondern zum Ausspionieren von Privatpersonen und für Wirtschaftsspionage. Und dass die politisch Verantwortlichen davon gewusst haben, inklusive der bundesdeutschen Regierung, sie sogar damit zusammengearbeitet hat.

Kein Wunder also, dass Sigmar Gabriel Angela Merkel vorwirft, von den aktuellen Enthüllungen gewusst hat. Wahrscheinlich hat er es ebenfalls gewusst.

(Das sagt auch das Innenministerium.)

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6 Ergänzungen

  1. Interessant ist auch, dass das EP schon damals empfahl, endlich Verschlüsselung zu fördern:

    22. Die Kommission und die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, ihre Bürger und Unternehmen über die Möglichkeit zu informieren, dass ihre international übermittelten Nachrichten unter Umständen abgefangen werden. Diese Information müssen von praktischer Hilfe bei der Entwicklung und Umsetzung umfassender Schutzmaßnahmen begleitet werden, auch was die Sicherheit der Informationstechnik anbelangt.

    23. Die Kommission, der Rat und die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, eine wirksame und effektive Politik betreffend die Sicherheit in der Informationsgesellschaft zu entwickeln und umzusetzen. Dabei muss der stärkeren Sensibilisierung aller Nutzer moderner Kommunikationssysteme für Notwendigkeit und Möglichkeiten des Schutzes vertraulicher Informationen besondere Beachtung zukommen. Ein europaweites koordiniertes Netz von Agenturen muss geschaffen werden, die in der Lage sind, praktische Hilfe bei der Planung und Umsetzung umfassender Schutzstrategien zu gewähren.

    24. Die Kommission und die Mitgliedstaaten werden ersucht, geeignete Maßnahmen für die Förderung, Entwicklung und Herstellung von europäischer Verschlüsselungstechnologie und -software auszuarbeiten und vor allem Projekte zu unterstützen, die darauf abzielen, benutzerfreundliche Kryptosoftware, deren Quelltext offengelegt ist, zu entwickeln.

    25. Die Kommission und die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, Softwareprojekte zu fördern, deren Quelltext offengelegt wird, da nur so garantiert werden kann, dass keine „backdoors“ eingebaut sind (sogenannte „open source software“). Die Kommission wird aufgefordert, einen Standard für die Sicherheit von Software festzulegen, die für den Austausch von Nachrichten auf elektronischem Wege bestimmt ist, nach dem Software, deren Quellcode nicht offengelegt ist, in die Kategorie „am wenigsten vertrauenswürdig“ eingestuft wird.

    26. An die europäischen Institutionen sowie an die öffentlichen Verwaltungen der Mitgliedstaaten wird appelliert, Verschlüsselung von E-Mails systematisch einzusetzen, um so langfristig Verschlüsselung zum Normalfall werden zu lassen.

  2. Kann mal einer erklären, warum Aibling?

    Die Lage ist für Sateliten eher schlecht, da durch die nahen Berge im Süden, der Himmelsausschnitt ziemlich begrenzt ist – speziell die äquatornahen Bahnen. Es gibt im weiteren Umkreis (ca. 100km) keine weiteren Satelitenup/downlinks die Seitenkeulen produzieren könnten.
    Frage: Liegt parallel zur Autobahn eine (wichtige) Ost-West Glasfaser?

    1. Ist nachzulesen bei Wikipedia:

      Nach dem Zweiten Weltkrieg besetzten US-Truppen den Fliegerhorst Bad Aibling, eine Schulflugbasis, der im Zuge der Aufrüstung der Wehrmacht ab 1936 als Militärflugplatz für die Luftwaffe auf dem Gelände eines Sportflugplatzes in Bad Aibling-Mietraching errichtet worden war.

      Das Areal wurde 1952 von der US Army übernommen. Nach und nach wurde es während des Kalten Krieges durch die United States Army Security Agency (ASA) zu einer Abhörstation der amerikanischen Auslandsgeheimdienste ausgebaut.

      Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass von der BAS aus vielfältige Telekommunikationskanäle einschließlich des Funk-, Fernsprech- und Internetverkehrs überwacht wurden. Insbesondere scheint die Kommunikation mit Satelliten, auch außerhalb des Intelsat-Systems, abgehört worden zu sein.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.