Diskursanalyse zur Debatte um Netzneutralität

Das Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen hat im Rahmen einer Kooperation mit dem Telekommunikationsunternehmen E-Plus einen Bericht über „Der Diskurs zur Netzneutralität“ verfasst (PDF). In dem 56-seitigen Bericht gibt es Analysen zu den Diskursen in Deutschland, der EU, Frankreich, Niederlande und den USA, sowie einen Kurzüberblick, was in einigen anderen Staaten läuft.

Am Anfang des Berichtes wird Netzneutralität definiert und das ist recht gelungen:

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Allerdings hat sich auch in der englischen Sprache oder den USA keine einheitliche Defini-tion durchgesetzt. Aus technischer Sicht, verlangt das Prinzip der Netzneutralität einen Verzicht auf Techniken der Datendiskriminierung und die Übermittlung von Daten im Internet „gemäss der ursprünglichen Architektur des Internets“, welche die Intelligenz anden Endpunkten des Netzwerks angesiedelt hat. Die Best-Effort-Regel des transmissioncontrol protocol (TCP), welches das ursprüngliche Internet dominiert, verzichtet – vereinfacht gesagt – auf die Priorisierung von Datenpaketen und transportiert Information stattdessen nach dem First-In/First-Out-Prinzip.

Negativ ausgedrückt will Netzneutralität also verhindern, dass im Internet Information aufgrund ihrer Qualität, ihrer Herkunft, ihrer Bestimmung oder ihres Zwecks diskriminiert (z.B. verlangsamt oder ganz blockiert) wird. Aus der Sicht des Endnutzers bezeichnet Netzneutralität den diskriminierungsfreien Zugang zu Inhalten, Diensten und Anwendungen seiner Wahl. Aus der Sicht des Anbieters von Inhalten, Diensten oder Anwendungen geht es um die diskriminierungsfreie Übermittlung der Information an den Endnutzer.

Später wird kritisiert, dass es keine genaue Definition geben würde. Hätte man doch einfach mal ein paar Seiten zurück geblättert.

Diskurs in Deutschland

Die Diskursanalye zu Deutschland hat wird als „ingesamt differenziert“ beschrieben und die Forscher kommen auf „17 unterschiedliche Themenbereiche“. Schön wäre es ja gewesen, diese auch alle und nicht nur wenige Beispiele zu benennen. „Markt und Wettbewerb“ werden als „dominantes Thema“ gesehen. Keine Akteursgruppe sei „eindeutig dominant“. Die ISPS seien „eher passiv in der Kommunikation“. Das liegt sicher auch daran, dass die Telekommunikationsunternehmen ihre Kommunikation massiv in Richtung Politik und Regulierer ausrichten (Lobbying) und das eher hinter den Kulissen erfolgt als in einem offenen Diskurs.

Alle Akteure seien gegen Diskriminierung. Es bestehe ein Konsens darüber, „dass Diskriminierung einzelner Nutzer oder Anbieter nicht zulässig sein soll.“ Aber wenn man diskriminieren kann, macht man es natürlich und da ist selbstverständlich auch Studien-Sponsor E-Plus in seinen Mobilfunktarifen im Klenigedruckten dabei. Im übrigen konnten wir auch bei der Definition des Wortes „Diskriminierung“ in der Drosselkom-Debatte eine Uminterpretierung des Begriffes feststellen. Nun wird „diskriminierungsfrei“ als „Jeder kann die Überholspur im Zweiklassen-Netz buchen, wenn man den richtigen Preis bezahlt“ definiert.

Wo wir auch beim Zweiklassen-Netz wären. Das sei laut Studien-Macher ein „Schreckgespenst“: „Ein Zerfall des demokratischen Internets in zwei-Klassen-System ist die große Angst der Netzgemeinde, wird aber auch von der Wissenschaft und den Medien thematisiert“. Wenn man sich alle Akteure anschaut, bleiben fast nur noch die Telekommunikationsunternehmen übrig, die das nicht als Schreckgespenst sehen.

Interessant ist übrigens auch, dass in den Vergleichsländern dieses „Schreckgespenst“ weniger thematisiert wird. Das liegt aber vor allem daran, dass die Drosselkom-Debatte den Aspekt eines Zweiklassen-netzes in Deutschland forciert hat und andere Staaten diese Debatte noch vor sich haben.

Erkannt wird, dass der „Diskurs in Deutschland“ bislang „eine Debatte unter Experten „, trotz Drosselkom-Debatte.

Sowohl auf Seite der Medien als auch der Politik ist insgesamt nur eine kleine Gruppe von Personen wirklich aktiv. Dies lässt sich auch anhand der kleinen Zahl von Stellungnahmen zur TKG-Novellierung konstatieren, wovon sich sehr wenige überhaupt zur Netzneutralität äussern.

Das hat sich mittlerweile geändert. Zum Verordnungsentwurf zur Regelung der Netzneutarlität aus dem Bundesirtschaftsminsiterium hat es viel mehr Stellungnahmen gegeben als vor zwei Jahren zum TKG-Gesetz. Allerdings hat das BMWi diese Stellungnahmen icht online gepackt und mir nur ein Zip mit vielen Outlook-Dateien geschickt, mit denen ich unter Linux nichts anfangen kann.

Keine Überraschung ist dei Analyse, welche „Unterschiedlichen Akzente“ bzw. „Talking Points“ von den Akteursgruppen genutzt werden. Befürworter einer gesetzlichen Verankerung der Netzneutralität nutzen „Innovation durch Start-Ups und kleine Anbieter“, sowie „Meinungs- und Kommunikationsfreiheit“. „Gegner eines staatlichen Eingriffs sprechen hingegen eher von Wohlfahrtseffekten und Effizienz und betonen das Verursacherprinzip.“

Interessant ist der Punkt zu Deep-Packet-Inspection:

In diesem Zusammenhang wird auch die Technik der Deep Packet Inspection häufig genannt, welche aber datenschutzrechtliche Bedenken und Angst vor Überwachung und Verletzungen des Fernmeldegeheimnisses oder gar Zensur schürt. Die beiden Themenkomplexe der Diskriminierung und der Deep Packet Inspection werden deshalb auf Seiten der Gegner strikterNetzneutralität gewissermassen mit Samthandschuhen angefasst. Gerade die Inhaltsanalyse der Datenströme dürfte auch im Zuge des Datenschutzskandals, der vor Kurzem in den USA enthüllt wurde, ein heikles Thema bleiben.

Die Diskursanalyse sieht verschiedene Brennpunkte in der Debatte, die eng verknüpft seien und sich in vier Konflikten zusammenfassen lassen würden:

1) Regulierung – Wie soll das Anliegen der Netzneutralität durchgesetzt werden? Soll der Markt darüber entscheidenoder der Staat?

2) Investitionen – Wie soll die nötige Erweiterung der Netzinfrastruktur finanziert werden?

3) Innovation – Wie soll das Internet zu Innovation und damit zu Wohlstand und Wirtschaftswachstum beitragen?

4) Grundrechte – Wie können die verschiedenen tangierten Grundrechte durchgesetzt werden, ohne jene anderer zubeeinträchtigen?

Im Ausblick werden sechs Entwicklungen genannt, die „kurz- oder mittelfristig von Bedeutung“ seien:

1) Proxy Censorship/ISPs als „Hilfspolizisten“ – Im Kampf gegen Cyberkriminalität, Urheberrechtsverletzungen, etc. werden Internet Ser-vice Provider zur Überwachung/Blocking/Filtering verpflichtet.

2) Fragmentierung innerhalb der EU – Der digitale Binnenmarkt wird von Fragmentierung durch unterschiedliche Regulierungoder unterschiedliche Ausgestaltung von Netzwerk-Management bedroht.

3) Quality of Experience – Statt „Quality of Service“ wird vermehrt das Erlebnis (bzw. der Nutzen) des Endnutzers inden Vordergrund gestellt.

4) Network Diversity/Freedom to Tinker – Vermehrt taucht die Forderung auf, Experimente und Vielfalt im Netzdesign zuzulassen,damit sich das beste Netzwerk durchsetzen kann.

5) Free Peering/Transit wird in Frage gestellt – Verschiedene Akteure stellen die ungeschriebenen Regeln der kostenlosen Beförderungvon Daten aus fremden Netzwerken in Frage.

6) Amerikanische Internet-Dienstleister in Europa besteuern? – Da amerikanische Dienstleister wie Google auf ihre Gewinne in Europa kaum Steuern be-zahlen, wird mit Verweis auf das Datenverkehrsaufkommen aus den USA vermehrt ver-langt, diese zusätzlich zu besteuern.

Drei Erkenntnisse werden formuliert

1) Gesetze/Diskussionen, die einen grösseren Kontext regeln wollen, überlagern Diskurs. Beispiel: Diskussion um die Behörde, welche Urheberrechtsverletzungen im Internet bekämpft („HADOPI“), und „zivilisiertes Internet“ in Frankreich.

2) Politische Kultur prägt Diskurs zur Netzneutralität. Beispiele: USA/Fokus auf wirtschaftlichen Belangen; FR/Fokus auf Kommunikationsfreiheit.

3) Keiner Akteursgruppe gelingt es bislang, den Diskurs nachhaltig in ihrem Sinne zu beeinflussen. Schwerwiegende Verletzungen der Netzneutralität (Skandale) führen zu Aktivismus seitens der Politik. Beispiele: NL/KPN (Inhaltekontrolle und Blockieren von Nachrichten-Apps); USA/Comcast(Verlangsamen von P2P-Datenverkehr); DE/Telekom (Volumengrenzen auf DSL-Tarifen unter Bevorzugung eigener Angebote)

Fazit

Der Bericht ist interessant und lesenswert, auch durch den internationalen Überblick zur Debatte. Die Intention von E-Plus, diese Diskursanalyse zu finanzieren, ist klar erkennbar: Im Kampaf umd ie Netzneutralität will man sich besser vorbereiten und die Akteure, ihre Argumente sowie die Kampffelder besser analysieren um die passenden Botschaften in Richtung Politik und Regulierer senden zu können.

Das sollten wir ebenfalls tun, auch wenn das Thema leider in den vergangenen monaten wieder weitgehend aus der Öffentlickeit verschwunden. Die politische Diskussion um konkrete Schritte für oder gegen Netzneutralität beginnt erst jetzt. Und da sieht es sowohl auf nationaler Ebene als auch auf EU-Ebene durch die massiven Lobby-Anstrengungen der Telekommunikationsunternehmen sehr düster aus.

Als Ergänzung sei auf das „Handbuch Netzneutralität“ des Digitale Gesellschaft e.V. verwiesen, das zahlreiche Argumente erklärt, die im Bericht nur angedeutet wurden. Das Handbuch erscheint demnächst in einer neuen Version, wo ausführlich auf die Drosselkom-Debatte eingegangen wird.

Bonus:

In einem Kurzinterview mit heute.de erklärt Miriam Meckel, warum die Politik das Thema so lange verschlafen hat und verrät zwischen den Zeilen, dass sie nicht mit einer gesetzlichen Festschreibung der Netzneutralität sympathisiert, sondern die Argumentation der Telekommunikationsunternehmen bevorzugt.

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Eine Ergänzung

  1. Das am Anfang ist zwar eine schöne Themenbeschreibung, aber eben keine genaue Definition, da sie wesentliche Fragen wie die Ausdehnung des Netzbegriffs oder was eine Diskriminierung darstellen möge, auslässt.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.