Telekom-Paket: Offener Brief an Michael Glos

Die Diskussion rund um das Telekom-Paket läuft ja bekanntlich nach der 1. Lesung im EU-Parlament weiter. Auch wenn es einige erfreuliche Abstimmungsergebnisse im EU-Parlament gab, so sind doch viele kritische Punkte geblieben, die unsere Privatsphäre und andere Grundrechte gefährden. Ein kritischer Punkt ist der Änderungsvorschlag Nr. 181, wo das EU-Parlament mehrheitlich eine Position der Business Software Alliance (BSA) beschlossen hat. Damit soll Telekommunikationsunternehmen erlaubt werden, zukünftig Verbindungs- und Standortdaten unter Berufung auf „Sicherheitszwecke“ zu sammeln. Klingt nach Vorratsdatenspeicherung und ist technisch dasselbe.

Seit dem Interview mit dem Symantec-Chef vor kurzem weiß man auch deutlich, was die wollen: Nicht mehr Datenschutz, sondern mehr Überwachungsmöglichkeiten im Namen der Sicherheit. Ende kommenden Monats wird der EU-Rat, bestehend aus den Vertretern der EU-Staaten zusammenkommen, um eine gemeinsame Position zu finden. Ein Zusammenschluß von elf Organisationen hat jetzt einen Offenen Brief an unseren Wirtschaftsminister Michael Glos geschrieben mit der Bitte, die deutsche Position zu erklären und sich als unsere Regierung dafür einzusetzen, diesen Punkt zu beseitigen. Hier ist der Link zur Pressemeldung dazu: Widerstand gegen Verwässerung des Schutzes von Verbindungsdaten. Und hier ist das Hintergrundpapier des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung dazu, was Patrick Breyer verfasst hat. Vor der zweiten Lesung werden wir auch noch mehr Lobbying und Druck bei EU-Parlamentariern machen müssen, damit diese den Punkt auch ablehnen.

Und hier ist jetzt der Brief:

Herrn Bundesminister Michael Glos
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
11019 Berlin

28. Oktober 2008

„Telekom-Paket“: Blankettermächtigung zur Erfassung von Verkehrsdaten zu „Sicherheitszwecken“

Sehr geehrter Herr Minister Glos,

in Kürze wird der EU-Ministerrat über eine Änderung der Richtlinie 2002/58/EG im Rahmen des „Telekom-Pakets“ abstimmen. Sie werden dabei Deutschland im Ministerrat vertreten. Größte Sorgen macht uns der Änderungsvorschlag Nr. 181 des Europaparlaments. Danach sollen in einem neuen Absatz 6a des Artikels 6 der Richtlinie Telekommunikationsanbieter ermächtigt werden, sensible Verbindungs- und Standortdaten zu erfassen und zu speichern, „um technische Maßnahmen für Netz- und Informationssicherheit […] durchzuführen […], sofern nicht das Interesse oder die geschützten Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person überwiegen.“ Der Begriff „Netz- und Informationssicherheit“ ist definiert als die Abwehr von Störungen und Angriffen.

Die folgenden Gründe lassen eine Ablehnung dieses Vorschlags aus unserer Sicht als dringend erforderlich erscheinen:

1. Ein legitimer Bedarf nach einer solchen Klausel besteht nicht. Die Kommission hat eine Änderung des Artikels 6 nicht für erforderlich gehalten. Das Europaparlament begründet seinen Vorschlag bezeichnenderweise mit keinem Wort.
2. Tatsächlich ist eine Speicherung personenbezogener Verkehrsdaten zur Gewährleistung des Netzwerkbetriebs nicht erforderlich. Das zeigt bereits die jahrelange, erfolgreiche Arbeit europäischer Unternehmen auf der Grundlage der bestehenden Regeln. Die bisherige Regelung hat sich in der Praxis bewährt.
3. Bereits auf der Grundlage der geltenden Richtlinie erlaubt etwa § 100 des deutschen Telekommunikationsgesetzes eine zielgerichtete Datenverarbeitung zur Fehlerbeseitigung und Missbrauchsbekämpfung, wenn dies im Einzelfall erforderlich ist. Die Rechtsprechung hat dazu zutreffend entschieden, dass die Vorschrift nur Maßnahmen aus begründetem Anlass rechtfertigt und keine generelle Vorratsdatenspeicherung (LG Darmstadt, DuD 2006, 178). Eine solche Beschränkung enthält der Vorschlag des Europaparlaments nicht.
4. Der vorgeschlagene Absatz 6a würde das gesamte System des Artikels 6 der Richtlinie entwerten und überflüssig machen, da er eine Blankettermächtigung enthält, die aufgrund ihres unbestimmten Tatbestands nicht einzugrenzen ist.
5. Wir bezweifeln, dass eine solche Blankettermächtigung mit dem Bestimmtheitsgebot, dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und dem Verhältnismäßigkeitsgebot vereinbar ist.
6. Absatz 6a würde ein zeitlich unbegrenztes und inhaltlich so unbestimmtes Recht zur Datenerfassung begründen, dass sich jegliche Datenspeicherung mit der Begründung rechtfertigen ließe, sie diene der „Netzsicherheit“ und überwiege das Interesse der Nutzer.
7. In Deutschland hat eine ganze Serie von Datenmissbrauchsfällen und Pannen – z.B. bei der Deutschen Telekom AG – in Erinnerung gerufen, dass Daten nur dann wirklich sicher sind, wenn sie nicht gespeichert werden; ähnliche Fälle gab es in Griechenland, Italien, der Slowakei und Ungarn. Artikel 6 der Richtlinie trägt dem Prinzip der Datensparsamkeit bisher Rechnung und ist eine wichtige europäische Errungenschaft. Die nun vorgeschlagene Änderung würde diesen Schutz ohne Not aufgeben und sensibelste Daten über unsere Kommunikation und Bewegungen einem Missbrauchsrisiko aussetzen.

Aus diesen Gründen bitten wir Sie dringend, sich dafür einzusetzen, dass der Ministerrat den Änderungsvorschlag Nr. 181 des Europaparlaments ablehnt. Bitte teilen Sie uns Ihre Position zu dieser Frage mit.

Mit weiteren Informationen und Unterstützung stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen,

handelnd für die folgenden Unterstützer dieses Schreibens:

1. Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung
2. Chaos Computer Club e.V.
3. Deutscher Journalisten-Verband e.V.
4. Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di
5. Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V.
6. DFJV Deutscher Fachjournalisten-Verband AG
7. Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung e.V.
8. Netzwerk Neue Medien e.V.
9. Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V.
10. Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren e.V.
11. Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.

Anlage:
Positionspapier des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung

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