UpdateDeutschlandZivilgesellschaft im Wettbewerbsformat

Gesellschaftliche Probleme durch Bürger:innenbeteiligung und Innovationen lösen, so lautet das Versprechen von Initiativen wie WirVsVirus und UpdateDeutschland. Aber wieviel zivilgesellschaftliche Teilhabe steckt wirklich im Hackathon-Hype der Bundesregierung? Eine kritische Analyse.

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Problemlösung wird geladen. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Mike van den Bos

Programme zur Förderung digitaler Innovationen durch Bürger:innenbeteiligung genießen im politischen Berlin derzeit ein hohes Ansehen. 2020 suchten beim WirVsVirus-Hackathon zigtausende Menschen Ansätze zur Bewältigung der Corona-Pandemie. In diesem Jahr soll das Nachfolgeprojekt UpdateDeutschland die großen Zukunftsthemen darüber hinaus bearbeiten. Die Bandbreite der Ideen reicht von A wie Antidiskriminierung bis Z wie Zugang zu Kultur. Gemeinsamer Nenner laut Kampagnenvideo: Überall braucht es ein Update.

Die Bundesregierung hat erneut die Schirmherrschaft inne und spricht von einem “deutschlandweiten Zukunftslabor”, an dem Bürger:innen, Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft mitwirken: „Jede Idee mit gesellschaftlicher Auswirkung ist willkommen.“ Doch ob und wie UpdateDeutschland Beteiligung und die digitale Zivilgesellschaft fördert, ist umstritten. Aus letzterer wird vermehrt Kritik am Hackathon-Hype laut: „Mehr echte Beteiligung, weniger Simulation“, fordert etwa das Forum der InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung.

Wir wollen deshalb aus sozial- und politikwissenschaftlicher Perspektive beleuchten, inwiefern UpdateDeutschland dazu geeignet ist, bürger:innenschaftliches und zivilgesellschaftliches Engagement auf dem Feld der Digitalpolitik zu fördern. Die konkreten Ergebnisse des Programms stehen noch aus, doch eine erste Analyse des Formats ist schon heute möglich.

Gemeinsam gesellschaftliche Probleme lösen

Hackathons sind Veranstaltungen, bei denen Technikinteressierte für eine kurzen Zeitraum an einem Ort zusammenkommen, um gemeinsam an Projekten zu arbeiten. Nimmt man produktiv durchwachte Nächte von Computerbegeisterten als Indikator, reicht die Geschichte des Formats weit zurück. Als Event mehr oder weniger professionell inszeniert wird der Hackathon seit Beginn der 2000er Jahre, zunächst im Kontext der Entwicklung von Open-Source-Software. Seitdem zeichnet sich das Veranstaltungsformat meist dadurch aus, dass sich Menschen projektbasiert und kollaborativ einem Datensatz, einer Programmiersprache oder einem Softwarepaket widmen.

Ausgerichtet von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Unternehmen oder Behörden stellen Civic Hackathons eine spezifische Variante dieses Formats dar (am ehesten als „bürger:innenschaftliche Hackathons“ zu übersetzen). In der Forschungsliteratur werden sie als Form zivilgesellschaftlicher, bisweilen auch politischer Beteiligung anerkannt. Technisch versierte Bürger:innen präsentieren Ideen, Prototypen und Anwendungen, kreieren realisierbare Lösungsansätze und artikulieren dadurch politische Forderungen.

Civic Hackathons zielen häufig darauf ab, durch die Aneignung und Auseinandersetzung mit digitalen Medien und Open Data öffentliche Infrastrukturen zu gestalten und gesellschaftliche Probleme zu lösen. Jugend hackt oder der National Day of Civic Hacking verdeutlichen, wie so das Gemeinwohl, der Zugang zur Verwaltung oder politischer Wandel gefördert werden können.

Mit #WirvsVirus wurde 2020 im Namen der Bundesregierung der öffentlichkeitswirksame Versuch unternommen, das Format in einer Krisensituation zur kollaborativen Erarbeitung innovativer Lösungen einzusetzen. Die Veranstaltung gilt mit zehntausenden Teilnehmenden als größter Hackathon der Welt. Kritisch diskutiert wurde unter anderem, ob die Veranstaltung wirklich nachhaltige Lösungen zur Gestaltung der digitalen Gesellschaft hervorbringt und ob sie inklusive Beteiligung ermöglicht oder nicht viel mehr bestimmte gesellschaftliche Gruppen ausschließt.

Vom Experiment zur Methode

Während die Idee zum Corona-Hackathon von mehreren zivilgesellschaftlichen Organisationen kam, geht die Initiative für den Nachfolger nach eigenen Angaben auf das Münchner Sozialunternehmen ProjectTogether zurück. Finanziert wird die Durchführung des Programms von der Bertelsmann Stiftung, der Robert Bosch Stiftung und der Stiftung Mercator. UpdateDeutschland führt dabei die Strategie von WirVsVirus fort und entwickelt sie weiter. Stand im Vorjahr noch der Hackathon als Beteiligungsformat im Vordergrund, dient das Konzept der Open Social Innovation nun als Leitbild für ein fünfmonatiges Umsetzungsprogramm.

Bewerben konnten sich sowohl bestehende Projekte als auch neue Initiativen. Zu den erfolgreichen Beispielen zählen etwa UDO, ein Chatbot zur Beantragung von Kurzarbeitergeld oder der psychosoziale Notdienst SterbeNotruf. Über finanzielle sowie ideelle Förderung und regelmäßigen Austausch sollen bei UpdateDeutschland Lösungsansätze (weiter-)entwickelt und schließlich an Akteure aus Verwaltung und Wirtschaft vermittelt werden.

Open Social Innovation als leitende Idee bezeichnet hierbei einen betriebswirtschaftlichen Ansatz zur marktkonformen Organisationsreform. Durch Strategien offener Innovationen sowie die innovative Anpassung von Geschäftsmodellen sollen gesellschaftliche Herausforderungen bewältigt werden, so eine klassische Definition. Offene Innovation bedeutet, dass Organisationen kreatives Potential von außen einbeziehen, zur Verfügung stellen oder kollaborativ erarbeiten. Dahinter steht die Annahme, dass Crowdsourcing besonders für Innovationen geeignet ist und Innovation wiederum ein gutes Mittel sind, auch komplexe Probleme neu, anders und erfolgreich anzugehen.

Für UpdateDeutschland soll Open Social Innovation als Methode vorrangig die Offenheit aller beteiligten Akteure für den Innovationsprozess ermöglichen. Als Lehre aus dem Vorjahr gilt, dass diesmal gleich von Beginn an Partner:innen auf Seite der Landes- und Kommunalverwaltungen sowie der Wirtschaft eingebunden sind. So sollen möglichst viele Lösungsansätze getestet und das Handeln von Bürger:innen, Staat und Wirtschaft auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet werden: das Update.

Input ja, Mitbestimmung nein?

Dabei ist festzustellen, dass UpdateDeutschland zwar auf Bürger:innenbeteiligung setzt, diese jedoch unpolitisch ausfüllt. Die Rolle der Bürger:innen bleibt darauf beschränkt, als Macher:innen kreativen Input einzubringen. Die Entscheidungsgewalt darüber, welche Lösungen förderungswürdig sind und pilotiert werden, wird von einer Expert:innenjury und den Partner:innen in Wirtschaft und Verwaltung getroffen. Das kann mit dem Verweis auf eine wirkungsorientierte Sachlogik begründet werden, rückt aber das Ziel des Verfahrens und die Kriterien, entlang derer es eigentlich realisiert werden soll, in den Fokus.

Laut Selbstbeschreibung ist das Programm auf ein “wirkungsvolles Update”, ein “gemeinsames Wirkungsziel” hin ausgerichtet. Bereits bei der Bewerbung taucht “Wirkung steht an erster Stelle” als Auswahlkriterium auf. Was darunter genau zu verstehen ist, bleibt in dieser “Rhetorik der Potenzialität” jedoch schwammig.

Die Begleitforschung verweist neben investorenfreundlichen, messbaren Ergebnissen zwar auf qualitative Kriterien, um die Wirkung der Methode Open Social Innovation zu erfassen. So etwa die individuell sinnstiftende Tätigkeit des Machens oder die im Prozess entstehenden kooperativen Netzwerke. Diesen Kriterien wird aber keine systemische Wirkung zugesprochen und sie bleiben damit symbolischer Natur. Als Kriterium für die Wirkung in Politik und Verwaltung hinein wird ein Wertewandel hin zur Bereitschaft für offene Innovation angeführt. Faktisch ist dies jedoch ein zirkuläres Argument: Open Social Innovation wirkt gut, denn nachher finden alle Open Social Innovation gut. Klingt positiv für den Ansatz, bleibt inhaltlich jedoch leer.

Ohne klaren Maßstab ist auch die Wirkung der einzelnen Projekte kaum bewertbar. Letztendlich bleiben also messbare Kennzahlen der harte Maßstab für die Beurteilung der Projekte und des Formats: Wie viele Beteiligte gab es? Wie viele Projekte wurden auf der Plattform präsentiert, wie viele übernommen? Projekte zu den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Problemen werden so vergleichbar gemacht. Was die politische Dimension der Probleme ausmacht und wie darüber zu debattieren wäre, steht hinten an.

Bürger:innen werden zu Unternehmer:innen erzogen

Unterdessen wird das Umsetzungsprogramm von Veranstaltungen wie der Innovations-Akademie flankiert. Wessen Idee als förderwürdig eingestuft wurde, kann sich hier nun „Wissen zu systemischer Wirkung und Start-Up Mentalität“ vermitteln lassen. Die Module der Akademie beschäftigen sich etwa mit kundenorientierter Produktentwicklung und der Ausgestaltung von Entwicklungszyklen, geben aber auch Einsicht in Konzepte des Systems Thinking, um so komplexe Probleme besser analysieren zu können.

Der operative Modus im Zeichen von Start-Up-Förderung und Social Entrepreneurship verstetigt damit eine marktliberale Haltung zum Betrieb infrastruktureller Vorsorge, die seit den Privatisierungen der 90er Jahre in der Bundesrepublik vorherrscht. Vor dem Hintergrund der Krise wird einerseits an die Bürger:innen appelliert, ihren Beitrag zu leisten. Gleichzeitig üben sich Regierung und Verwaltung unter dem Label der Partizipation in kosteneffizienter Symbolpolitik.

Bereits der politische Diskurs rund um soziale Innovationen hat gezeigt, dass das Stichwort des Sozialen nicht darüber hinwegtäuschen kann, wie Effizienz und Lukrativität als ökonomische Deutungsmuster für den Innovationsbegriff in Anschlag gebracht werden. Sie prägen damit den Blick auf die zu lösenden gesellschaftlichen Probleme.

Zusammenfassend präsentiert sich UpdateDeutschland als ein Verfahren, das soziale Innovationsprozesse auf eine möglichst zügige Umsetzung in gewinnbringende Startups und digitale Produkte reduziert. Die ergebnisoffene Bürger:innenbeteiligung eines Civic Hackathons wird durch ein Wettbewerbsformat ersetzt, das Bürger:innen zu Entrepreneur:innen erzieht. Spitz formuliert ist man bei UpdateDeutschland an die TV-Show Höhle der Löwen erinnert, nur dass statt an risikofreudige Venture Capitalists an die Experimentierfreudigkeit deutscher Verwaltungsbehörden appelliert wird.

Des Kaisers neue Innovationen

Open Social Innovation erscheint in diesem Kontext als diskursives Werkzeug. Offenheit, die Bearbeitung gesellschaftlicher Problemlagen und Innovation sind Stichworte, denen ein progressives Potential zugesprochen wird. Unter diesem Label möchte UpdateDeutschland bestehende Verhältnisse aufbrechen und das Gestaltungspotenzial der Zivilgesellschaft stärker zur Wirkung bringen. So schreibt sich das Format in ein Narrativ ein, dass das Neue als Fortschritt deklariert, und der Bundesregierung dabei hilft, Deutschland als international zukunftsweisend und wettbewerbsfähig darzustellen.

UpdateDeutschland trägt so auch dazu bei, von den zahlreichen Baustellen der deutschen Digitalpolitik abzulenken, anstatt sie zu lösen. Die Bundesregierung betrachtet das Politikfeld seit je her primär als ein Feld der Wirtschafts- und Sicherheitspolitik. Beteiligungsprogramme und Gemeinwohlorientierung taugen zwar für den anlaufenden digitalpolitischen Wahlkampf, kommen aber selten zur Umsetzung. Auch progressive Forderungen und Expertisen aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft werden demgegenüber geflissentlich ignoriert, wie nicht zuletzt der Umgang mit der Enquete-Kommission des Bundestages zu Internet und digitaler Gesellschaft oder der Datenethikkommission der Bundesregierung deutlich gemacht haben.

Man sollte sich daher fragen, ob das Format UpdateDeutschland tatsächlich geeignet ist, die strukturellen Probleme zur Einbindung von Bürger:innen und Zivilgesellschaft auf dem Feld der deutschen Digitalpolitik zu lösen. Der wirtschaftliche Fokus ist nicht entschärft worden, sondern hat ein nach Aufbruch klingendes Update erfahren. Entscheidungen über Tempo und Auswahl systemischer Veränderungen sowie die Anliegen der Zivilgesellschaft verbleiben allein bei den alten politischen Institutionen.

Zivilgesellschaft im Hype Cycle

Für die digitale Zivilgesellschaft bleibt die Beteiligung an solchen Innovationsprozessen entsprechend ambivalent. Es mag zwar in Einzelfällen gelingen, die eigenen Anliegen in der politischen Öffentlichkeit zu platzieren, bestehende Civic-Tech-Projekte durch neue Kontakte und Ressourcen voranzutreiben oder gar auf subversive Weise Datenbestände offenzulegen.

Im Gegenzug erhält die Bundesregierung öffentlichkeitswirksame Kennzahlen für ihre Digitalpolitik und kann Kosten für die Digitalisierung der Verwaltung vorerst auslagern. Die digitale Zivilgesellschaft riskiert also für Erfolgsmeldungen der Bundesregierung vereinnahmt zu werden, während wenig Raum für die Artikulation und Diskussion grundsätzlicher digitalpolitischer Forderungen und systemischer Veränderungen bleibt. Die wirtschaftsorientierte Ausrichtung dürfte zudem nicht ohne Spuren dafür bleiben, wie der Staat künftig zivilgesellschaftliches Engagement fördert. Für eine sich auch politisch verstehende digitale Zivilgesellschaft könnte sich die Verstetigung eines solchen Innovationsregimes letztlich als Pyrrhussieg erweisen.

Um die nachhaltige Einbettung digitaler Lösungsansätze aus der Zivilgesellschaft zu gewährleisten, benötigen Verwaltungen dauerhaft entsprechende Kompetenzen und Ressourcen anstelle einer höheren Innovationsgeschwindigkeit. Soll Civic Hacking dabei tatsächlich als Hebel zur wirkungsvollen Lösung gesellschaftlicher Probleme dienen, bedarf es einer Ausrichtung, die das Politische nicht auf betriebswirtschaftliche Effektivität reduziert. Stattdessen sollten Maßstäbe wie soziale Gerechtigkeit, Inklusion und Solidarität leitend sein.


Quellen: Grundlage für diese Analyse sind die Website von UpdateDeutschland, das Programm [PDF] sowie die Begleitforschung [PDF] der Berliner Hertie School und der Leuphana Universität Lüneburg, deren Ergebnisse das Format anleiten.

Autoren: Daniel Staemmler ist Sozialwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er forscht unter anderem zu digitalem Aktivismus und politischem Protest. Sebastian Berg ist Politikwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft sowie am Wissenschaftszentrum Berlin. Er forscht unter anderem zu Civic Tech und digitalen Infrastrukturen demokratischer Politik.

Redaktion: Ingo Dachwitz

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3 Ergänzungen

  1. Vielen Dank für die gründliche und kritische Betrachtung!
    Und ein kleiner Korrektur-Hinweis: project together ist kein Münchner, sondern ein Berliner Sozialunternehmen. (Der Fehler findet sich im Absatz unter „Vom Experiment zur Methode“)

  2. Beim Digitalen fürchte ich, dass es noch mehr Profilbildung bringt (Staat und Privat), da in allen Phasen die Gefahr besteht, dass auch Dienstleister von Staatswegen her eingesetzt werden, oder es „klassisch politisch“ gehandhabt wird.

    Die Hauptvariante der Gegenrichtung scheint zu sein, dass auch in der Politik mehr Menschen einsehen werden, dass die Prinzipien gut sind, und sich irgendwann mehr Vernunft durchsetzt, oder [Realismus eingeschaltet, Plakativmodus eingeschaltet] machthungrige junge Politiker, die die Dynamik der neuen Interaktionsmöglichkeiten verstehen, diese nutzen um die alten machthungrigen Politiker, die nur noch Macht an sich können, zu verdrängen, aber dann…

    Dann kommt es darauf an, dass die neuen Systembestandteile so geformt sind, dass etwas besseres dabei herauskommt, wenn sie weiter Teil des Systems bleiben, sowie nicht leicht wieder abzuschaffen sind. Das ist die eigentliche Herausforderung, und die Frage bleibt, ob die Verfassung es halten wird. Das erfordert dann schon eine Umdeutung des „Partizipationsgedankens“, in eine „Pflicht zur Bereitstellung wirksamer Möglichkeiten der Partizipation“, o.ä.

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