Kommunikationsinhalte in Österreich angeblich von NSA totalüberwacht und gespeichert? Aber warum?

CC-BY-NC-SA 2.0 via flickr/a_kep

Nachdem Mitte März bekannt wurde, dass die NSA die Inhalte von Telefongesprächen und Online-Kommunikationen ganzer Länder mitschneidet, wurde gerätselt, welche das denn wohl sein mögen. Der Ex-NSA-Mitarbeiter John Inglis enthüllte kurz darauf selbst, dass es sich bei einem der Länder um den Irak handele.

Aus der Präsentation zum MYSTIC-Programm ließ sich jedoch schließen, dass die NSA plante, nicht nur ein Land komplett abzuhören und eine Ausweitung des Programms auf sechs Länder bis Ende 2013 vorbereitete. Heute gab das österreichische Nachrichtenportal format.at bekannt, dass Österreich „mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ eines der betroffenen Länder sei. Außerdem wisse Österreichs Verfassungsschutzchef Peter Gridling zumindest seit Dezember 2012 Bescheid über die Vorgänge.

Dabei beruft sich das Medium auf ihm vorliegende Unterlagen. Der Bericht lässt den Leser jedoch mit mehr Fragen als Antworten zurück, vor allem darüber, welche konkreten Informationen zu einer solchen Vermutung führen. Was gibt es in Österreich so Interessantes, das eine priorisierte Überwachung rechtfertigt? Bei Ländern wie dem Irak, die politisch als Gefährdung für die USA gelten, kann man das leicht nachvollziehen. Österreich dürfte jedoch kaum als akute Gefahr der nationalen Sicherheit Amerikas eingestuft werden.

Format erklärt sich das mit den vielen internationalen Organisationen in Wien, der historischen Nähe zu Russland und Osteuropa, vielen vorhandenen technischen Überwachungsanlagen und der Kooperationsbereitschaft der Politik. Diese Erklärung scheint ein wenig dünn, denn um strategische Ziele wie das UNO-Zentrum in Wien zu überwachen ist es kaum notwendig, Telefongespräche aus den hinteren Winkeln Vorarlbergs zu speichern. Die MYSTIC-Präsentationen hatten nämlich auch erwähnt, dass es Platzprobleme bei der Rundumspeicherung gegeben habe.

Dass einzelne Ziele Gegenstand der Geheimdienstüberwachung sind und die NSA Horchposten in Österreich unterhält mit denen unter anderem 70% des Internetverkehrs von Wien abgegriffen werden können, wurde bereits im letzten Jahr bekannt. Dazu zählten die oben referenzierte UNO-City, eine Villa in Wien und Abhöreinrichtungen in Neulengbach und Königswarte. Österreichische Politiker zeigten sich demgegenüber ähnlich passiv wie in Deutschland und das Innenministerium kollaborierte mit den amerikanischen Stützpunkten, indem es beispielsweise bei der Bewachung der Standorte behilflich war. Auch das Bundesheer steht unter Kritik, mit der NSA zu kooperieren, was aufgrund der Neutralität Österreichs, das im Gegensatz zu Deutschland kein NATO-Mitglied ist und dessen Außenpolitik auf den Prinzipien immerwährender Neutralität beruht, besonders brisant ist.

Wir bezweifeln nicht, dass Institutionen und Politiker in Österreich totalüberwacht werden und die NSA die Verbindungsdaten des Landes speichert. Aber um zu glauben, dass man den Aufwand betreibt, den Bundesstaat als eines von sechs Zielen auch inhaltlich komplett zu überwachen und diese Informationen für einen Monat rückwirkend aufzubewahren, braucht es konkretere Hinweise.

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9 Ergänzungen

  1. Im Business gilt Österreich häufig als „Testmarkt“ aufgrund der überschaubaren Größe mit vielen Parallelen zu anderen europäischen Märkten. Vllt ist es ja hier irgendwie ähnlich und es ist eine Art Vorlauftest für andere europäische Staaten?

  2. Schon interessant, dass Thomas de Maizière die Überwachung letztens medienwirksam als maßlos bezeichnet hat. Vielleicht weiß er schon mehr und es bahnt sich eine neue Enthüllung der NSA in Deutschland an.

  3. Für die USA sind Österreich und die Schweiz als deutschsprachige nicht-NATO-Mitglieder(Neutral) von besonderen Interesse. In Medien, sowie Wissenschaft wird noch(im Gegensatz zu Deutschland) in Bezug auf die Außenpolitik sehr kritisch und hinterfragend analysiert.

  4. Ich denke, wenn wir eins gelernt haben aus den enthüllungen, dann dass alles mögliche auch gemacht wird. Ich als jemand, der in Österreich wohnt kann nur bestätigen, dass in Österreich so einiger Mist möglich ist, weil die Bevölkerung sich nicht ausreichend dagegen wehrt (siehe Hypo alpe Adria, Vorratsdatenspeicherung,…), zumal hier das Amtsgeheimnis über alles geht.
    Wie bereits oben schon erwähnt wurde, ist Österreich nicht in der Nato und somit ohnehin schon verdächtig für die Amerikaner. Das heißt nicht, dass ich diese Infos nicht mit Vorsicht genießen würde, die format.at da veröffentlicht hat, aber abwegig finde ich diese Vermutung nicht. Zumal das Schweigen des Innenministeriums auch eine Aussage ist, die Bände spricht. Hoffen wir mal, dass format.at nachlegt oder neue Infos aus dem Material von Edward Snowden auftauchen.

  5. z.B. könnte eventuell auch nachfragt, z.B. bei https://twitter.com/FlorianHorcicka um sich mit folgendem auseinander zu setzen

    „Aber um zu glauben, dass man den Aufwand betreibt, den Bundesstaat als eines von sechs Zielen auch inhaltlich komplett zu überwachen und diese Informationen für einen Monat rückwirkend aufzubewahren, braucht es konkretere Hinweise.“

  6. „Kooperationsbereitschaft der Politik“. Das ist wohl das Hauptkriterium. Und gerade deswegen glaube ich, wird auch Deutschland ganz vorne dabei sein.

  7. Man könnte ja mal Vermutungen über die restlichen vier Länder anstellen. Bei mir wären die folgenden auf der Liste:

    – Belgien: Da Sitz zahlreicher wichtiger internationaler Organisationen und wichtiger Standort von NGOs und Konzernen. und natürlich EU.

    – Island: überschaubar, aber strategisch enorm wichtig und wg. starker demokratischer libertärer Tradition schwer manipulierbar.

    – Saudi-Arabien: strategischer Rohstofflieferant aber unklar, wie zuverlässig. Außerdem Brutstätte von Terroristen.

    – Deutschland: Tja, enorm wichtig und es besteht schon Zugang zur Infrastruktur…

    Die klassischen „Schurkenstaaten“ habe ich nicht auf der Liste, da es der NSA etwa in Nordkorea oder im Iran deutlich schwerer fallen dürfte, die Infrastruktur anzuzapfen.

    Andere Ideen?

    ag.

  8. Guten Tag,

    ich lese netzpolitik.org schon sehr lange und sehr gerne, die AutorInnen die über die Jahre hinzugekommen sind sehe ich als Bereicherung an. Auch deine Beiträge lese ich gerne, allerdings macht mich dieses gnadenlose und unreflektierte Schwarz-Weiß-Denken das du ab und an in deinen Artikeln an den Tag legst ein wenig sprachlos:

    Zitat: „Bei Ländern wie dem Irak, die politisch als Gefährdung für die USA gelten, kann man das leicht nachvollziehen.“

    Dieses Land wurde systematisch ausgeblutet und über die Jahrzehnte mit Westlichem-Terror überzogen und platt bombardiert, wie kann man da „nachvollziehen“ das die Rädelsführer der Gewalt ein Land einfach so abhören?
    Weiterhin schreibst du: „Österreich dürfte jedoch kaum als akute Gefahr der nationalen Sicherheit Amerikas eingestuft werden.“

    Daraus folgt, das du einschätzen kannst wer (und vor allem aus welchen Gründen) eine Gefahr darstellt und somit vollkommen legitim systematisch abgehört werden darf unter völliger Missachtung der Persönlichkeitsrechte und aller sonstiger Rechte die gebrochen werden?
    Wir wissen heute das der Irak ebenfalls keine Gefahr für die nationale Sicherheit Amerikas dargestellt hat, genauso wenig wie es all die anderen Länder tun.

    Versteh mich nicht falsch, ich möchte weder dir noch sonst jemandem auf die Füße treten. Ich finde deine/eure Arbeit klasse und werde diese Site weiterhin täglich ansurfen. Ich würde mir nur etwas mehr Feingefühl wünschen.

    Just my two cent :-/

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.