EuroDIG: Copyright ist nicht Urheberrecht

Bereits gestern berichteten wir über den EuroDIG, den European Dialogue on Internet Governance, der vergangenen Donnerstag und Freitag im Auswärtigen Amt in Berlin stattfand. Parallel zu meinem Workshop über die Private-Public-Problematik besuchte Markus einen Flash (Komprimierte Kurzveranstaltung) zum Thema der Entwicklung des Politikfelds Netzpolitik in Deutschland, und lernte:

Man konnte ja nicht immer alles gleichzeitig besuchen, macht mir jetzt nicht so viel aus, aber an dieser Stelle findet sich noch ein informativer Bericht über den Netzneutralitätsworkshop, den ich ebenfalls verpasst habe.

Rechtliche Unsicherheit und Hindernisse für offene Verwerter wie Wikimedia und Bibliotheken

Jetzt aber weiter im Text. Der zweite Tag der EurDIG-Konferenz begann für mich, da will ich ganz ehrlich sein, mit Kaffee und Plätzchen. Anschließend begab ich mich in den Workshop zum Thema: „European copyright for the digital age“. Diskussionsteilnehmer waren unter anderem zwei Bibliotheksvereinvertreter, Ellen Broad von der International Federation of Library Associations and Institutions und Guido Jansen vom Deutschen Bibliotheksverband. Diese unterhielten sich mit Matthias Schindler von Wikimedia, moderiert wurde das ganze von Konstantinos Komaitis von ISOC (Internet Society’s Elections Committee). Ziel des Workshops: Konzepte und Initiativen für einen Europäischen Urheberrechtsansatz im digitalen Zeitalter zusammentragen. „Konzepte“, „Ansatz“, „digitales Zeitalter“, diese Zielstellung könnte man als ‚offen‘ beschreiben.

Fancy: Im Gegensatz zu dem anderen Workshop, wo jeder selbst auf sein Smartphone schauen musste um dem Geschehen auf Twitter zu folgen, gab es diesmal eine eigene kleine Workshop-Twitterwall, um den für diese Veranstaltung festgelegten #eurodig_ws6 zu verfolgen. Das war aber kein twitterwally, wie man es von den großen Plenen gewöhnt war, sondern eine Art Effekt-Slideshow, die die beliebtesten Beiträge (anfangs waren das genau drei) nahm, einzeln die Buchstaben zusammenschwurbeln ließ, um dann drei Viertel derselben wieder verschwinden zu lassen, damit sich die restlichen Buchstaben neu anordnen konnten, um dann dabei zuzusehen, wie sich ein neuer Tweet um die Reste des alten herum aufbaute… es war faszinierend mit anzusehen und wurde nicht langweilig, da sich parallel die Hintergrundfarbe permanent nicht zwischen neongrün, neonpink, neongelb entscheiden konnte… Da der Workshop nicht zu den Trending Topics auf Twitter gehörte, wiederholten sich dieselben Tweets relativ häufig.

Moderator Komaitis begann die Debatte unter den Prämissen, dass wir uns alle einig seien können, dass 1) Das Urheberrecht gebraucht werde und 2) es in dieser Form unaktuell ist und dringender Reformen bedürfe. Durch die Europäische Kommission ist Ende 2013 ein öffentlicher Konsultationsprozess gestartet worden, zu dem auch einige der Anwesenden Beiträge geliefert haben. Diesen Dialog in Europa galt es im Workshop aufzugreifen und zu präzisieren. Zunächst brachte Guido Jansen die Bibliothekenperspektive ein und betonte, dass entgegen anderer Annahmen Bibliotheken zu den ‚early adopters‘ im digitalen Zeitalter zählen, und beispielsweise Internetzugang bieten, Internet- und Fachdatenbankenrecherche ermöglichen und E-Books zur Verfügung stellen. Besonders bei E-Books stehen Bibliotheken in Europa immer mehr vor einem Problem, weshalb sie sich mit der EBLIDA-Kampagne „The right to e-read“ für bessere Bedingungen einsetzen um weiterhin freies Wissen unter die Bevölkerung zu bringen.

Für Ellen Broad liegt ein zentrales Problem in der Debatte darin, dass die tatsächlichen Schöpfer immer mehr aus der „copyright“-Gleichung herausfallen würden und sich immer viel mehr auf die Verwerter oder Verteiler (distributors) konzentriert würde. Als wichtiges Konzept sollten Lizensierungsmodelle verfolgt und optimiert werden. Vor allem für die Urheber werde es immer schwerer, ihre Rechte im Internet auch durchzusetzen. Gleichzeitig liegt ihr ‚Fair use‘, also die angemessene Weiterverwendung von Material am Herzen, sowie die Möglichkeit, innovativ zu sein ohne dafür eine rechtliche Erlaubnis zu benötigen (‚permissionless innovation‘). Matthias Schindler von Wikimedia meint, dass seine Organisation von der freien Verbreitung offen lizensierten Inhaltes profitiert, es aber ein großes Hindernis sei, immer mit Urheberrechtsvorgaben übereinzustimmen. Daraus folgt, dass die meisten Inhalte, die Wikimedia verbreitet, v.a. auf Wikipedia, mit rechtlicher Unsicherheit behaftet sind. Eine Reform des Urheberrechts sollte dies ändern und verbessern.

Schützt ‚Copyright‘ Urheber oder Verwerter?

Auf Twitter wurde unterdessen die Frage gestellt, was denn nun eigentlich mit den Urhebern an sich sei, eine Künstlerin fühlte sich von der Frage nach Verwertern und Verbreitern etwas übergangen. Es ist dem Moderator anzurechnen, dass er auf den parallel laufenden Twitter Stream einging und diese Frage zurück an die Workshopteilnehmer stellte. Gleichzeitig wurde so ein weiterer Tweet angestoßen, der betonte, dass das „copyright“ aus England stamme und ursprünglich ein Recht des Verwerters, nämlich das Recht auf Kopieren sei. Dieser Standpunkt wurde dann noch einmal persönlich vertreten und schien allgemeine Zustimmung zu finden. Ich muss zugeben, dass mir noch niemals vorher aufgefallen war, was sich in diesem Moment klar abzeichnete: Der deutsche Begriff „Urheberrecht“ bezieht sich eindeutig auf den Schöpfer, währenddessen das „copyright“ offenbar ein Verwerterrecht ist. Wenn alle in Europa denken, sie sprächen über dasselbe Konzept, dabei aber komplett unterschiedliche Ansätze im Kopf haben, ja, dann ist es kein Wunder, dass sie sich diese bei jeder Gelegenheit gegenseitig einschlagen. Wieso ist mir das nicht früher aufgefallen? Wieso gibt es nicht zwei voneinander getrennte Begriffe? Wieso gibt es kein eigenes Recht für Urheber und Verwerter?

Auf Twitter wurde ich darauf hingewiesen, dass das heute Urheberrechtssystem vielmehr eine Mischung ist aus kontinentalem Urheberrecht und anglo-/amerikanischem Kopierrecht. Womit wir beim Problem wären. Wieder war eine aktive Beteiligung der Workshopteilnehmer zu verzeichnen, beispielsweise wurde gefordert, die Debatte sollte verständlicher für Jugendliche geführt werden, näher an deren Realität. Problematisiert wurden auch nationale bzw. regionale Schranken des Urheberrechts, die es beispielsweise deutschen Youtube-Nutzern aufgrund von GEMA-Bestimmungen unmöglich machen, bestimmte Inhalte aufzurufen, die woanders legal erreichbar sind. Ellen Broad wünschte sich auch, dass man sich noch einmal Gedanken darüber machen sollte, was ‚kopieren‘ eigentlich im digitalen Zeitalter bedeutet und ob man dafür nicht vielleicht auch einen neuen Begriff bräuchte.

Aus dem Publikum meldete sich ein Mitglied der Piratenpartei, dass der Instinkt zu Teilen doch schon immer ein Teil des menschlichen Charakters war, Menschen das schon immer gemacht hätten, und es endlich Zeit wäre, grenzenloses Teilen im Netz zu legalisieren. Ein Vertreter der MPAA (Motion Picture Association America) warf ein, dass in seinen Augen das Urheberrecht keiner Reform bedürfe, es sei doch gar nicht ‚broken‘, wie die Debatte suggerierte, sondern müsse einfach nur in seiner Form besser durchgesetzt werden. Ellen Broad zeigte sich in ihrem Abschlussstatement dankbar für diesen Kommentar (und auch ich freue mich immer, wenn mal jemand etwas Konträres sagt was sich leicht widerlegen lässt). Er führe vor Augen, woran es eigentlich scheitert, und das sei eben nicht der Konsens auf der Multistakeholderdialog-Ebene, wo alle in etwa dasselbe denken würden, sondern der fehlende Einfluss auf den entscheidenden Ebenen. Die Argumente müsste man aus der Unterhaltung heraus in Ebenen übertragen, wo Entscheidungen getroffen werden. Guido Jansen stellte eine generelle Sympathie gegenüber der Rolle von Bibliotheken fest und dass diese ein Recht auf Lizensierung von E-Books haben sollten. Matthias Schindler schließlich fasste zusammen, dass eine solche Unterhaltung nie ohne Prämissen geführt würde. Von Anfang an war die Debatte darauf ausgerichtet, dass aktuelle Urheberrecht, was wir brauchen, zu verbessern. Niemand (außer dem Piraten) stellte die Frage, ob es das Urheberrecht überhaupt braucht, und warum. Stimmt. Aber vermutlich lässt sich eine solche Diskussion nicht (noch) offen(er) führen.

Der Input war in jedem Fall interessant und regte mich auch im Anschluss an den Workshop zum Nachdenken an. Etwas, was das folgende Panel über „Security, Internet principles and human rights“ nicht schaffte (Worum geht es? Um alles und nichts?), weshalb ich mich kurzerhand noch einmal in eine Flash-Session setzte. Jan Kleijssen vom Europarat sprach über eine „Magna Carta“ für das Internet. Er wünschte sich die Kodifizierung kollektiver Standards, an die sich dann sowohl staatliche als auch nicht-staatliche Akteure halten. Solche Standards wären Zugang, Regulierung, Offene Standards, ‚Permissionless Innovation‘, Urheberrecht, Multistakeholder-Dialoge, das ganze Programm. Sowie ich die Reaktionen der Zuhörer in dieser kurzen Session verstand, wollte eigentlich niemand noch ein weiteres Dokument schaffen. Der rough consensus der NETmundial und die weitere Arbeit an diesem Dokument schien ihnen schon Aufgabe genug.

Ein Feuerzeug im Wind

Auf Twitter kam es übrigens zur Kritik an der (mangelnden) Teilnahme der netzpolitischen Szene:

Was kann man darauf antworten? In der Form, in der der EuroDIG stattgefunden hat, ist verständlich, weshalb das Interesse daran nur glimmte wie ein Feuerzeug im Wind. Oder weshalb seine Wirkung auch nicht größer sein wird als ein solches (eventuell gäbe es auch noch eine bessere Metapher). Für mich als relativer Neuling in der netzpolitischen Szene war diese Veranstaltung an sich interessant, ich wollte einfach gerne wissen, wie so ein Multistakeholderdialog wohl ablaufen soll. Ich kann nun verstehen, wieso jemand, der schon seit zehn Jahren dabei ist und sich vermutlich immer wieder dieselben Argumente anhört irgendwann davon entmutigt und frustriert wird. Aber es stimmt auch: Wenn niemand mehr hingeht, um sich kritisch zu äußern, dann wird es erst recht eine wirtschaftsüberladene Selbstbeweihräucherung.

Im Übrigen, Herr Haselbeck, wollte ich auch gern zum IGFD, aber auf meine E-Mail, ob ich mich statt für ein Wartelistenticket zu optieren auch als Presse für netzpolitik.org akkreditieren lassen könne erhielt ich leider keine Antwort mehr.

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