Handygate in Dresden: Landgericht Dresden hält eine einzige Funkzellenabfrage für illegal – aber nur formal

Funkzellenabfragen am 19. Februar 2011 in Dresden. © OpenStreetMap contributors.
Funkzellenabfragen am 19. Februar 2011 in Dresden. © OpenStreetMap contributors.

Eine der als „Handygate“ bekannt gewordenen Funkzellenabfragen in Dresden 2011 war zwar illegal, aber nur wegen eines Formfehlers. Das geht aus einem Urteil des Landgerichts Dresden hervor, das jetzt in Volltext erhältlich ist. Eine weitere Funkzellenabfrage findet das Gericht als verhältnismäßig – und liefert die Blaupause, den Formfehler nächstes mal zu vermeiden.

Vorgestern berichteten wir über über eine Entscheidung des Landgerichts Dresden, das eine der Funkzellenabfragen in Dresden 2011 für illegal erklärt hat. Jetzt ist der Beschluss des Gerichts in Volltext online – und versprüht deutlich weniger Optimismus.

Praktischerweise listet das Urteil nochmal drei Funkzellenabfragen auf, die alle rund um die Nazi-Demonstration und Gegenproteste durchgeführt wurden:

Die Funkzellenabfrage des Beschlusses 270 Gs 711/11 betraf den Schwerpunkt der gewalttätigen Auseinandersetzungen südlich des Hauptbahnhofs und dieser örtliche Bereich wurde ausweislich des Wortlauts des Beschlusses wie folgt beschrieben:

  • nördliche Begrenzung: Fröbelstraße, 01159 Dresden,
  • westliche Begrenzung: Tharandter Straße/Altplauen, 01159 Dresden,
  • südliche Begrenzung: Kohlenstraße/Südhöhe, 01189 Dresden,
  • östliche Begrenzung: Wiener Straße/Gustav-Adolf-Platz, 01219 Dresden.

Die Funkzellenabfrage erstreckte sich zeitlich auf eine Dauer von zwölf Stunden. Sie war für Samstag, den 19.02.2011, von 07.00 Uhr bis 19.00 Uhr, angeordnet.

Die Funkzellenabfrage des Beschlusses 270 Gs 712/11 betraf den Gewaltschwerpunkt Coschützer Straße 8 und 12, 01705 Freital. Die Funkzellenabfrage umfasste einen Zeitraum von vier Stunden. Sie war für Samstag, den 19.02.2011, von 14.00 Uhr bis 18.00 Uhr, angeordnet.

Die Funkzellenabfrage des Beschlusses 270 Gs 729/11 betraf die mutmaßliche Organisationszentrale der linksgerichteten Gewalttätigkeiten auf der xxx Straße xx, 01127 Dresden. Diese Funkzellenabfrage umfasste einen Zeitraum von 48 Stunden. Sie war für den 18.02.2011, 00.00 Uhr, bis zum 19.02.2011, 24.00 Uhr, angeordnet.

In dem Urteil beschäftigte sich das Landgericht nur mit zwei der drei Funkzellenabfragen (weil der Kläger „nur“ in diesen beiden überwacht wurde).

Großenhainer Straße: verhältnismäßig

Die Überwachung aller Handys im Umkreis des Haus der Begegnung bewertete das Gericht dabei auch inhaltlich. Dabei wurden über einen Zeitraum von zwei vollen Tagen 81.229 Verkehrsdaten abgeschnorchelt und von 35.748 die Bestandsdaten eingeholt, also Name und Adresse der Anschluss-Inhaber. Auf fünf Seiten erklärt das Gericht, dass es diese massenhafte Pauschalüberwachung für rechtmäßig hält.

Nach Ansicht des Gerichts war die „Erhebung der Verkehrsdaten […] für die Erforschung des Sachverhaltes erforderlich und die Erforschung des Sachverhaltes wäre auf andere Weise aussichtslos.“ Dumm nur, dass auch mehr als zwei Jahre später noch kein einziger Verdächtiger ermittelt und angeklagt wurde. Auch die „Begehung von Straftaten mittels Telekommunikation“ war laut Gericht gegeben, weil Handys verwendet wurden und auch anzunehmen war, dass Straftäter Handys nutzen würden. Auch die Dauer der Funkzellenabfrage von 48 Stunden beanstandete das Gericht nicht. Das Fazit:

Die in dem Beschluss 270 Gs 729/11 angeordnete Funkzellenabfrage hält die Kammer im Ergebnis einer vorgenommenen Gesamtabwägung für verhältnismäßig im engeren Sinne.

Soweit also kein Unterschied vom Landgericht zu den vorherigen Urteilen des Landgerichts.

Südvorstadt: formale Mängel

Was das Landgericht bemängelt hat, war die Funkzellenabfrage in der Dresdner Südvorstadt mit dem Aktenzeichen 270 Gs 711/11. Also nicht die Abfrage selbst, denn das Gericht hat sich überhaupt nicht inhaltlich mit der Maßnahme beschäftigt. Angesichts der Einschätzung der anderen Funkzellenabfrage wäre eine inhaltliche Ablehnung auch äußerst fraglich.

Vielmehr kritisierte das Gericht „formale Mängel“, die „nicht geheilt werden können“. In knapp über einer Seite wird bemängelt, dass der Beschluss zur Anordnung der Funkzellenabfrage keinen „Bezug zu den schweren gewalttätigen Ausschreitungen“ herstellt. Zwar war „diese Intention wegen Allgemeinkundigkeit mehr oder weniger offensichtlich“, das Gesetz verlangt jedoch, dass das direkt im Beschluss stehen muss und nicht nachgeliefert werden kann.

Damit hat das Gericht nicht nur nichts zur Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme gesagt, sondern stattdessen diesen Flüchtigkeitsfehler ermahnt und quasi die Blaupause geliefert, dass der nächste Beschluss diesen Formfehler nicht wiederholt.

Formulierungen wie „bürgerkriegsähnliche Zustände“ und „einem Tag, an dem in Dresden der Straßenkampf regierte“ erinnern darüber hinaus sehr an den Duktus von Staatsanwaltschaft und Polizei, eine etwas neutralere Wortwahl hätte hier sicherlich nicht geschadet.

Der ursprünglich ausgerufene Gewinn wird durch den Volltext des Beschlusses eher zu einem Pyrrhussieg. Damit bleibt den Klägern nur der Gang vor das Bundesverfassungsgericht, um eine grundsätzliche inhaltliche Überprüfung der massenhaften Handy-Rasterfahndung zu bekommen.

2 Ergänzungen

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