Zwischen Euphorie und Sorge: Das Dritte Arabische Bloggertreffen in Tunis

Dieser Artikel von Layla Al-Zubaidi und Joachim Paul wurde zuerst auf boell.de veröffentlicht und steht unter der CC-BY-SA-Lizenz.

Vom 2. bis 6. Oktober veranstaltete die Heinrich-Böll-Stiftung zusammen mit Global Voices und der tunesischen Internetplattform Nawaat das Dritte Arabische Bloggertreffen (#AB11). Über hundert Internetaktivist/innen aus mehr als 20 Ländern trafen sich in Tunis, um Erfahrungen auszutauschen und ihre Rolle im arabischen Frühling zu diskutieren. Während die ersten beiden Treffen noch eher anonym in Beirut abgehalten wurden, erachteten es die Blogger als selbstverständlich, dass das dritte Treffen in Tunesien statt finden sollte – zur Ehrung der ersten arabischen Revolution.

Bei der Begrüßung in Tunis fielen sich die Bloggerinnen und Blogger in die Arme und klopfen sich gegenseitig auf die Schultern „Wer hätte es gedacht dass wir uns jemals in Tunesien treffen können – wir haben es geschafft!“ Alle sind erpicht auf die Erfahrungen der Aktivisten aus Tunesien und Ägypten, denn ihre Revolutionen waren erfolgreich. Trotz Euphorie herrscht besorgte Stimmung. Für viele ist es noch lange nicht vorbei: Insbesondere die Unterstützung der Blogger aus Syrien und Bahrain ist ein Schwerpunkt des Treffens, denn sie sind extrem gefährdet.

Historische Vernetzung

Den sudanesischen Blogger Amir Ahmad, lange nur als „Drima“ auf seinem Blog „Sudanese Thinker“ bekannt, hat der arabische Frühling inspiriert, seine Identität zu enthüllen. „Ich führte eine schizophrene Existenz. Drima, meine Netzidentität nahm kein Blatt vor den Mund, war kritisch und häretisch. Amir Ahmad hingegen hat sich geduckt und die Stimme gesenkt. Manchmal wusste ich nicht mehr wer ich wirklich bin, Drima oder Amir. Gegen Ende des vergangenen Jahres bereits traf ich die Entscheidung, mich der Öffentlichkeit zu zeigen, habe aber den Zeitpunkt immer wieder verschoben. Die Revolutionen gaben mir schließlich den Anstoß. Ich wollte mich nicht mehr verstecken und endlich mit meinem echten Namen für meine Überzeugung stehen. Freie Meinungsäußerung bedeutet nichts ohne die Freiheit der Überzeugungen. Ich setzte mich an den Computer und zählte ‚Drei, zwei, eins… dann der Mausklick – publish! Mit einem Schlag war ich befreit“.

Für ihn ist das Bloggerforum wie ein Familientreffen „Die ersten beiden Treffen in Beirut, 2008 und 2009, haben den Weg geebnet. Sie haben die Bühne für den Anteil der Blogger/innen an den Revolutionen bereitet. Damals haben wir uns in Persona kennengelernt und uns mit Al-Jazeera vernetzt. Auf der Grundlage dieser Treffen konnte Al-Jazeera auf eine starke Informationsbasis zurückgreifen; ohne sie wäre die Kommunikation in den Revolutionen wesentlich chaotischer verlaufen. Es war unsere Verlobungsfeier. Die Revolutionen waren dann die Flitterwochen. Das aktuelle Treffen ist die Ehe. Wir stehen etwas ernüchtert da, schauen uns an und fragen uns – Ok, das soll jetzt bis ans Lebensende so weitergehen? Die erste Euphorie über die Revolutionen ist vorbei und wir stehen vor gigantischen Herausforderungen. Und realisieren dass die Arbeit noch lange nicht vorbei ist…“ (Ein englischsprachiges Audio-Porträt des Bloggers Drima gibt es hier zu hören)

Erfolgreiche Kooperation von Bürgerjournalismus und Mainstream-Medien

Oft wurden die Revolutionen in Tunesien und Ägypten Facebook- Revolutionen genannt. Der prominente tunesische Aktivist Sami Ben Gharbia und Mitbegründer von Nawaat erklärt, warum gerade Facebook eine so große Rolle gespielt hat: „Fast alle anderen Sharing-Websites wie Youtube, Flickr und Twitter waren geblockt. Daher lief fast die gesamte elektronische Kommunikation über Facebook.“ Das soziale Netzwerk Facebook stellte die Aktivisten jedoch auch vor Probleme. Die Kommunikation fand in lokalem Dialekt statt, den weder die arabischen noch die internationalen Medien verstanden. Ihnen fehlte zudem die Einsicht in die lokalen Zusammenhänge. Ben Gharbia sah die Aufgabe von Nawaat daher als „Kurator“: „Wir haben die Brücke geschlagen zwischen dem lokalen Bürgerjournalismus und den arabischen und internationalen Medien. Wir haben aggregiert, übersetzt und Kontext geliefert. Al-Jazeera und die großen internationalen Kanäle wie France 24, BBC und CNN haben sich zeitweise komplett auf uns verlassen. Sie haben unsere Inhalte übernommen, die Fakten geprüft und dem Massenpublikum zugänglich gemacht. Die tunesische Revolution ist ein Musterbeispiel dafür welche politische Macht die Medien entwickeln können, wenn Bürgerjournalismus und die großen internationalen Medien kooperieren.“

Der ägyptische Blogger Alaa Abdel-Fattah gibt zu bedenken, dass die Proteste auch weitergingen, als das Internet und Mobiltelefonnetzwerk abgeschaltet wurde: „Facebook kann sich nicht den Erfolg der Revolutionen auf die Fahnen schreiben. Aber es ist trotzdem wichtig zu verstehen, dass der Internetaktivismus instrumental war. In Ägypten ist das enorme Momentum durch das Zusammenspiel von Online-Aktivismus, Straßenprotesten und der Kreativität der vielen verschiedenen Akteure entstanden.“ Lächelnd fügt er hinzu: „Ihr müsst schon zugeben, dass unsere Revolution die coolste war.“

Weder WikiLeaks- noch Facebook-Revolution

Marcel Rosenbach, Spiegelredakteur und Ko-Autor des Buchs „Staatsfeind WikiLeaks“ reiste aus Berlin an, um dem Treffen beizuwohnen. „Mich interessiert die freiheitsstiftende Kraft des Internets, und die arabischen Revolutionen sind ein gutes Beispiel dafür. Die arabische Bloggerszene zeigt die Chancen und Risiken des Mediums.“ Er hält den Begriff „Wikileaks-Revolutionen“ für ebenso hochgegriffen wie „Facebook-Revolutionen“.
„Trotzdem handelt es sich um einen Baustein. Die Tunileaks zum Beispiel haben eine große Rolle gespielt in der Revolte. Schwarz auf weiß zu sehen dass amerikanische Diplomaten die grassierende Korruption der tunesischen Führung bestätigten, hat der Revolution Impetus gegeben.“

Informationsmonopol gebrochen

Wie unterschiedlich die arabischen Blogger sein können, zeigen die Ansätze von Nasser Weddady, der aus Mauretanien kommt und in den USA lebt, und Hassan Al-Mustafa aus Saudi Arabien.

Weddady arbeitet für den American Islamic Congress in Washington an Projekten zu sozialem Aktivismus in der arabischen Welt, ist Anti-Sklavereiaktivist und einer der aktivsten arabischen Blogger. Für ihn ist das Bloggen ein Informationskrieg subversiver Aktivisten gegen die autoritären Regime in der gesamten arabischen Welt. Bei den Revolutionen habe es sich um regelrechte Schlachten gehandelt, so Nasser: „Die Blogger und Internetaktivisten haben es geschafft, das Informationsmonopol der staatlich dominierten arabischen Medien zu brechen und durch Gegeninformation die Legitimation der Regime zu zerstören. Youtube-Videos, wie das des anonymen Bloggers Sniper, der in Marokko Polizisten bei Annahme von Bestechungsgeldern filmte, Handyfilme syrischer Schüler, die prügelnde Lehrer aufnahmen, oder Videodokumentationen von folternden ägyptischen Polizisten hätten große Empörung ausgelöst. In den letzten Jahren haben wir gespürt, dass es unter der Oberfläche der scheinbar stabilen Diktaturen gärt. Die Unterdrückung der Menschen hat Wut und Verzweiflung hervorgerufen, für die es kein Ventil gab.“

Weddady
, der von Washington aus schreibt, hat die überregionale und internationale Öffentlichkeit im Blick. Am Beispiel Ägyptens, erklärt er, dass Mubarak und sein Vorgänger Sadat jahrzehntelang Unterdrückung mit dem Argument gerechtfertigt hätten, sie würden für Sicherheit und Stabilität sorgen. Und dies sowohl in Bezug auf den arabisch-israelischen Konflikt als auch die „islamistische Bedrohung“. Seit dem 11. September kam die Kooperation mit dem internationalen Krieg gegen den Terror dazu. „Junge Menschen haben sich gefragt, was das mit ihnen zu habe, warum ihnen eine ähnlich sozio-ökonomische Entwicklung wie z.B. in Malaysia oder der Türkei versagt bleibt. In den Augen junger Menschen wurde die Reform der Regime Mubaraks und Ben Alis vom Westen verhindert, um die regionale Stabilität nicht zu gefährden. So als ob die internationale Gemeinschaft in der Gorbatschow-Ära die Menschen in Osteuropa zu Mäßigung und Kooperation mit den Honeckers und Mielkes aufgerufen hätte.“

Reformen für Saudi-Arabien

Ein ganz anderes Bild vermittelt Al-Mustafa, ehemaliger Fernsehjournalist beim regionalen Nachrichtenkanal Al-Arabia und heute Herausgeber der neuen Online-Version der saudi-arabischen Zeitung Al-Sharq. Als Journalist kommentiert er saudische Politik auf seinem Blog hassantalk.com, zu dem der Zugang in Saudi-Arabien selbst blockiert wird. Mehr Wirkung erzielt er in Saudi-Arabien durch Twitter, wo ihm tausende Leser/innen folgen.

In Saudi-Arabien steht nicht Regimesturz im Vordergrund, sondern größere Meinungsfreiheit und individuelle Rechte. Die Printmedien seien vom königlichen Hof vollkommen kontrolliert. Chefredakteure werden vom Innenministerium benannt. Die Online-Ausgaben hätten zwar größere Freiheit, aber noch wichtiger sei Twitter: „Dort wird gesagt, was sonst nicht gesagt wird. Die Regierung könne in 140 Buchstaben kritisiert und sogar lächerlich gemacht werden.“ Al-Mustafa meint, dass in Saudi-Arabien das Ringen um politische und soziale Freiheiten miteinander verbunden sei, wie bei der bekannten Kampagne gegen das Fahrverbot für Frauen. Kritik werde auch in Comedy- Serien auf Youtube geäußert. Einzelne Filme werden immerhin 300.000 bis 900.000 Mal aufgerufen und kritisieren im arabesken Komödienstil Korruption und Unfreiheit.

Al-Mustafa gibt zu bedenken dass sich Internetaktivismus und der Einsatz sozialer Medien keinesfalls auf säkulare und freiheitlich-demokratische Akteure beschränke. Gerade in Saudi-Arabien geht auch die islamistische Opposition gegen das extrem konservative Königshaus auf Youtube, Facebook und Twitter vor. Salafistische Oppositionsgruppen rufen per Youtube zur Freilassung inhaftierter Aktivisten auf. Der Kampf um Meinungsfreiheit und gegen geheimdienstliche Willkür ist in gewissem Rahmen auch ihr Kampf. Ebenso haben die arabischen Geheimdienste Twitter und Facebook für sich entdeckt und beteiligen sich an dem „Zusammenstoß der Weltanschauungen“ im Internet, der dort ohne ethisch akzeptable Regulierung tobt.

Saudi-Arabien: Sympathien für die Revolution

Auch der saudische Blogger Ahmed Al-Omran, als „Saudijeans“ bekannt, bemerkt dass die Menschen in Saudi-Arabien bei den Revolutionen in Tunesien und Ägypten begeistert mitgefiebert haben, aber zurückhaltender sind wenn es um interne Angelegenheiten geht. „Es gibt viele Gemeinsamkeiten, die Arbeitslosigkeit, die politische Unterdrückung, die Korruption… aber es gibt einen zentralen Unterschied: Das saudische Königshaus hat genug Geld um es zu verteilen und die Menschen gefügig zu machen. Den Menschen wurde so lange vorgebetet dass sie dankbar sein müssen, dass es kaum ein Bewusstsein für Bürgerrechte gibt.“

Er hält es jedoch für unfair zwischen den verschiedenen Ländern zu vergleichen. „Wir sind in einem ganz anderen Stadium als Tunesien und Ägypten. Ich muss mich immer dafür entschuldigen dass Saudi-Arabien Ben Ali aufgenommen hat. Dabei gibt es viele Saudis die darüber sehr ärgerlich sind.“ Al-Omran gibt auch zu bedenken dass der König immer noch Popularität genießt, und viele sich nur dem Ruf nach Reformen anschließen, nicht aber dem nach radikalem Wandel.

Trotzdem ist er optimistisch: „Die Situation in Saudi-Arabien ist auf Dauer nicht haltbar. Der König ist 87 Jahre alt, der Kronprinz nur ein paar Jahre jünger. Die politische Führung ist völlig überaltert, während 65% der Bevölkerung unter 25 Jahren alt ist. Es gibt zwar kaum Aktion auf der Straße, aber in den sozialen Medien wird die Sprache immer deutlicher und kritischer. Das ist auch ein Resultat des arabischen Frühlings. Die Regierung kann den Cyberspace kaum noch kontrollieren, vor allem in Zeiten, in denen sie sich reformorientiert zeigen muss.“ Die Initiative des Königs, Frauen das Recht zur Kandidierung in den Lokalwahlen zu kandieren, begrüßt Al-Omran. „Es ist ein Zeichen dafür, dass das Land sich wandeln muss. Es reicht jedoch bei weitem nicht aus, so lange Frauen noch unter männlicher Vormundschaft stehen.“ Er rät deshalb dazu abzuwarten, den Schritt zu bewerten: „Es ist noch 18 Monate Zeit bis zu den Wahlen. Nach Bekanntgabe der Wahllisten werden wir wissen, ob nur regierungsfreundliche Frauen zugelassen werden, oder auch kritische Stimmen.“

Wie waren die Reaktionen unter Bloggerinnen und Bloggern? Al-Omran antwortet: „Eine Aktivistin möchte T-Shirts drucken mit der Aufschrift ‚Andere arabische Länder bekommen Revolutionen, wir bekommen dieses lausige Wahlrecht.’ Dies versinnbildlicht die Gefühle der jungen Menschen: Ihre Ambitionen sind viel höher als das was die Regierung ihnen bietet.“ Was den niedergeschlagenen Aufstand in nachbarlichen Bahrein angeht, so scheint die saudische Blogosphäre regelrecht gespalten: „Der König von Bahrain hat sehr erfolgreich die sektiererische Karte gespielt, indem er gesagt hat dass es sich um einen schiitischen Umsturzversuch handele und die Protestierenden vom Iran seien. Das macht den Saudis Angst.“

Vergessene Revolution Bahrein

Der bahrainische Blogger Hussein Jussif Mahmud, der auf arabisch bloggt, beschreibt dass es gerade aufgrund der offiziellen Propaganda wichtig war, die Friedlichkeit der Proteste zu betonen. „Die sozialen Medien haben eine instrumentale Rolle darin gespielt, das negative Bild der Revolte aufzubrechen, das die Autoritäten konstruiert haben“. Was die Dokumentation der Proteste in den sozialen Medien angeht, waren die Internetaktivistinnen im Königreich am Golf sehr gut organisiert: „Wir haben über 13,000 Videos, alle nach Datum und Ort katalogisiert und abrufbar.“

Trotzdem scheint die Revolte niedergeschlagen und zahlreiche Aktivisten stehen vor jahrzehntelangen Gefängnisstrafen. Der internationale Druck ist gering, und die USA, deren 5. Flotte in Bahrain stationiert ist, schaut bewusst in die andere Richtung. Zudem befinden sich die bahrainischen Demokratieaktivisten in einem strategischen Nachteil. Während der katarische Kanal Al-Jazeera in allen anderen Ländern entscheidend zu den Revolutionen beitrug, ignorierte er die Ereignisse in Bahrein. Nicht zuletzt ist Katar Mitglied im Golfkooperationsrat und stimmte für die Entsendung saudischer und emiratischer Truppen nach Bahrain um die friedliche Revolte niederzuschlagen. „Es war seltsam zu sehen, wie unsere Proteste Schlagzeilen in BBC, CNN und sogar im englischen Kanal von Al-Jazeera machten, nicht aber auf Al-Jazeera Arabisch“, kommentiert Mahmud. „Wir haben den Korrespondenten alles geschickt, Videos, Fotos und Berichte. Es blieben aber nur Rufe in die Dunkelheit.“

Syrien: Bürgerjournalismus gegen Propaganda

Wie ihre Kolleg/innen aus Bahrain kämpfen die syrischen Blogger gegen eine massive offizielle Propaganda, die die Aufständischen als bewaffnete Terroristen, Islamisten und Kriminelle verunglimpft. „Unsere Herausforderung ist, dass wir immer noch die Hälfte der Bevölkerung nicht erreichen. Das macht uns am Kopfschmerzen: wie können wir die Menschen in Damaskus und Aleppo erreichen, die entweder an die offizielle Propaganda glauben oder Angst haben vor dem was folgen könnte wenn das Baath-Regime zusammenbricht?“ fragt eine Bloggerin. Nur wenige Journalisten sind in Syrien zugelassen. Daher verlässt sich die arabische und internationale Berichterstattung fast ausschließlich auf Bürgerjournalismus. „Dies bedeutet eine große Verantwortung für uns“ bemerkt ein anderer syrischer Blogger. „Aber wir stellen fest, dass sich die syrischen Internetaktivist/innen zunehmend professionalisieren. Während früher Nachrichten einfach weitergegeben wurden, versuchen sie heute die Informationen anhand von Gesprächen mit Augenzeugen und Fact-Checking zu verifizieren.“ In der kurzen Zeit hat so in Syrien eine Metamorphose der Internetnutzung stattgefunden. Dabei konnten die Blogger auf bereits existierende Formate, wie die ägyptische „Wir alle sind Khaled Said“ Facebook-Seite zurückgreifen und kreativ in ihrem Kontext einsetzen. Khaled Said wurde 2010 in Alexandria von ägyptischen Polizisten zu Tod geprügelt, die nach ihm benannte Facebook-Seite war eines der erfolgreichsten Mobilisierungsinstrumente gegen den Polizeiterror.

Arabische Blogosphäre internationalisiert

Obwohl die meisten Teilnehmer/innen beim Treffen aus den arabischen Ländern kommen, ist die arabische Blogosphäre längst internationalisiert. Jacob Appelbaum, amerikanischer Hacker und Internetaktivist, hat die arabischen Revolutionen nicht nur mit Interesse begleitet, sondern aktiv unterstützt. Er empört sich darüber, dass westliche Demokratien Soft- und Hardware an autoritäre Regime exportieren, um Aktivisten zu überwachen, Proteste zu verhindern, und Kommunikation zu zensieren.

Nokia, Siemens, Gigamon, Blue Coat Systems, Amesys und Cisco gehören zu den Firmennamen, die in der Konversation fallen. Während des Bloggertreffens kam nicht nur heraus, dass westliche Firmen Tunesien als Testland zur Auswertung neuer elaborierter Überwachungsinstrumente nutzte. Auch wurde durch die Veröffentlichung von 54 Gigabyte syrischer Überwachungsdaten klar, dass Syrien Hard- und Software der US-Firma Blue Coat nutzt, um Akttivist/innen und Bürger effektiv zu bespitzeln und die Kommunikation zu zensieren. Die Firma hat auch einen Sitz in Deutschland.

Zusammen mit Freunden hat Appelbaum die Software „Tor“ entwickelt, die es den Usern erlaubt, anonym zu surfen und zu bloggen. Tunesische und ägyptische Aktivisten haben sie angewendet, im Iran hilft sie Zehntausenden die Zensur zu umgehen. Appelbaum nennt sich selbst einen „reisenden Aktivisten“. Ständig ist er unterwegs dorthin, wo seine Expertise in Internetsicherheit gefragt ist. Mobiltelefone hält er für das nützlichste, aber auch das gefährlichste Kommunikationsinstrument. Sie seien nicht nur leicht zu überwachen, sondern als„Ortungswanze“ zu verstehen, die man permanent mit sich herumtrage. Inzwischen haben u.a. deutsche Firmen Methoden entwickelt, über die Funkzellendaten der Mobiltelefone große Ansammlungen von Menschen vorauszusehen und damit Proteste schon präventiv zu unterbinden. Verkauft würden diese repressiven Mittel unter dem Deckmantel der „Lawful Interception“.

Appelbaum selbst benutzt noch nicht einmal Kreditkarten und bezahlt nur bar, um sich staatlicher Kontrolle zu entziehen. In den USA droht ihm immerhin eine Anklage vor der Grand Jury, die vor allem WikiLeaks wegen Spionage im Visier hat. „In den USA hat die Paranoia unnatürliche Ausmaße angenommen. Obwohl keine Anklage eingereicht ist, werde ich, schon aufgrund meiner Reisen in die Region, ständig befragt und eingeschüchtert. Mit Menschen in muslimischen Ländern zu interagieren bedeutet für die Behörden automatisch, dass man Terroristen unterstützt.“

Auf die Frage, warum er sich trotz des hohen persönlichen Risikos trotzdem für die arabischen Revolutionen engagiert, antwortet er: „Ich unterscheide nicht zwischen meiner und anderen Gesellschaften. Wir alle wollen freiheitliche Gesellschaften in denen die Bürgerrechte respektiert werden. Mein Ziel ist es, Technologien für den Kampf für die Demokratie nutzbar zu machen, egal wo. War das nicht mal der amerikanische Traum?“

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